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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der Gnitzen und Stechmücken flogen von ihrer Haut auf und bildeten wieder ihre Wolke. Das Kribbelgefühl hörte auf, aber der gräßliche Juckreiz blieb. Es gab keine Wespen, aber sie war trotzdem zerstochen. Während sie schlief, hatte sie so ziemlich alles gestochen, was zufällig vorbeigekommen und Appetit gehabt hatte. Ihr ganzer Körper juckte. Und sie mußte pinkeln.
    Trisha kroch keuchend und leise stöhnend unter dem Baumstamm hervor. Sie war von ihrer Rutschpartie überall steif, vor allem der Nacken und die linke Schulter, und ihr linker Arm und ihr linkes Bein - die Glieder, auf denen sie im Schlaf gelegen hatte - waren gefühllos. Gefühllos wie ein Holzpflock, hätte ihre Mutter dazu gesagt. Erwachsene (zumindest in ihrer Familie) hatten für fast alles eine Redensart: gefühllos wie ein Holzpflock, fröhlich wie eine Lerche, munter wie eine Grille, taub wie ein Stock, finster wie ein Kuhmagen, tot wie eine ... Nein, daran wollte sie nicht denken, nicht jetzt.
    Trisha versuchte sich aufzurappeln, kam nicht hoch und schleppte sich kriechend auf die kleine Lichtung hinaus. Während sie sich bewegte, kehrte ein Teil des Gefühls in Arm und Bein zurück - mit diesen unangenehm stechenden Kribbelanfällen. Tausend kleine Nadelstiche. »Hol's der Teufel«, krächzte sie - hauptsächlich um den Klang ihrer eigenen Stimme zu hören. »Hier draußen ist es finster wie in einem Kuhmagen.«
    Aber als sie am Bach haltmachte, merkte Trisha, daß das ganz und gar nicht stimmte. Die kleine Lichtung lag in kaltem, klarem Mondschein, der so hell war, daß er deutliche Schatten warf und das Wasser des kleinen Bachs schwach glitzern ließ. Das leuchtende Objekt am Himmel über ihr glich einem leicht mißgestalteten silbernen Stein, dessen Licht fast blendete ... aber sie sah trotzdem zu ihm auf, feierlicher Ernst lag auf ihrem geschwollenen, juckenden Gesicht und in ihren Augen. Der Mond leuchtete in dieser Nacht so -hell, daß er nur die hellsten Sterne nicht überstrahlte, und irgend etwas an ihm - oder daran, aus welcher Umgebung sie ihn betrachtete - ließ sie spüren, wie einsam sie war. Ihre vorige Überzeugung, sie werde gerettet, nur weil Tom Gordon in der ersten Hälfte des neunten Innings drei Aus erzielt hatte, hatte sich verflüchtigt - da konnte man ebensogut auf Holz klopfen, etwas Salz über seine Schulter werfen oder sich bekreuzigen, bevor man zum Schlagmal trat, wie Nomar Garciaparra es immer tat. Hier gab es keine Kameras, keine Wiederholungen in Zeitlupe, keine jubelnden Fans. Die kalte Schönheit des Mondgesichts suggerierte ihr, das unterschwellig Wahrnehmbare sei letztlich doch glaubhafter: ein Gott, der nicht wußte, daß er - oder es - ein Gott war, ein Gott ohne Interesse an verirrten kleinen Mädchen, ohne wirkliches Interesse an irgendwas, ein Aus-bei-vollen-Bases-Gott, dessen Verstand einer schwirrenden Insektenwolke glich und dessen Auge der ferne, leere Mond war.
    Trisha beugte sich über den Bach, um daraus Wasser für ihr pochendes Gesicht zu schöpfen, sah ihr Spiegelbild und stieß einen leisen Klagelaut aus. Der Wespenstich über ihrem linken Wangenknochen war noch weiter angeschwollen (vielleicht hatte sie im Schlaf daran gekratzt oder sich irgendwo angeschlagen) und durch die Schlammschicht, mit der sie ihn beschmiert hatte, gestoßen wie ein frisch ausgebrochener Vulkan, der durch die alte Lava seiner letzten Eruption bricht. Er hatte ihr Auge völlig entstellt, es ganz schief und mißgestaltet gemacht, so daß es jetzt ein Auge war, von dem man sich lieber abwandte, wenn man es auf der Straße auf sich zuschweben sah. Der Rest ihres Gesichts war ebenso schlimm oder sogar noch schlimmer: klumpig, wo sie gestochen worden war, lediglich geschwollen, wo Hunderte von Mücken im Schlaf über sie hergefallen waren. Wo sie am Ufer kniete, war das Wasser verhältnismäßig still, und Trisha sah darin, daß mindestens noch eine Mücke an ihr hing. Sie saß in ihrem rechten Augenwinkel und war zu vollgesogen, um auch nur ihren Stechrüssel aus ihrer Haut zu ziehen. Dabei fiel ihr wieder einer von diesen Erwachsenen-Ausdrucken ein: zu vollgefressen, um springen zu können. Sie schlug danach, und die platzende Mücke füllte ihr Auge mit ihrem eigenen Blut, das nun brannte. Trisha schaffte es, nicht aufzuschreien, aber ein schwankender angewiderter Laut - mmmmmmhh - entschlüpfte ihren krampfhaft zu-sammengepreßten Lippen. Sie betrachtete ungläubig das  Blut an ihren Fingern. Daß eine

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