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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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mochte, es zog weiter.
    Trisha schloß die Augen. Unter ihren mit Schlamm bedeckten Lidern quollen Tränen hervor und liefen über ihre ebenso schlammigen Wangen hinunter. Ihre Mundwinkel zuckten heftig. Sie wünschte sich für kurze Zeit, sie wäre tot - lieber tot sein, als solche Angst erleiden müssen, lieber tot als im Wald verirrt sein.
    Etwas weiter entfernt knackte nochmals ein Zweig. Blätter raschelten wie von einer windlosen Bö, und dieses Geräusch kam von noch weiter her. Es zog weiter, aber es wußte jetzt, daß sie hier in seinen Wäldern war. Es würde zurückkommen. Unterdessen erstreckte sich die Nacht vor ihr wie tausend Meilen einer einsamen Straße. Ich werde nie einschlafen können. Niemals. Ihre Mutter hatte ihr geraten, sich etwas vorzustellen, wenn sie nicht einschlafen konnte. Stell dir etwas Hübsches vor. Das ist das Beste, was du tun kannst, wenn der Sandmann sich verspätet, Trisha.
    Sich vorstellen, daß sie gerettet war? Nein, davon hätte sie sich nur elender gefühlt ... als ob man sich ein großes Glas Wasser vorstellte, wenn man durstig war. Sie war durstig, das merkte sie jetzt ... völlig ausgedörrt.
    Das blieb wohl zurück, vermutete sie, wenn die größte Angst überstanden war - dieser Durst. Sie drehte ihren Rucksack mit einiger Mühe um und öffnete die Verschlüsse. Das wäre einfacher gewesen, wenn sie sich aufgesetzt hätte, aber nichts in der Welt konnte sie dazu bringen, in dieser Nacht unter ihrem Baum hervorzukommen, nichts im Universum.
    Außer es kommt zurück, sagte die kalte Stimme. Außer es kommt zurück und zerrt dich heraus. Sie zog ihre Wasserflasche aus dem Rucksack, nahm mehrere große Schlucke, verschloß sie und verstaute sie wieder. Dann betrachtete sie sehnsüchtig die Reißverschlußtasche, in der ihr Walkman steckte. Sie hätte ihn am liebsten herausgeholt und ein bißchen Radio gehört, aber sie mußte die Batterien schonen.
    Trisha schloß die Klappe, bevor sie schwach werden konnte, und nahm ihren Rucksack wieder in die Arme. Was sollte sie sich vorstellen, nachdem sie nicht mehr durstig war? Mit einem Mal wußte sie es - einfach so. Sie stellte sich vor, Tom Gordon sei bei ihr auf der Lichtung, stehe gleich dort drüben am Bach. Tom Gordon in seiner Spielerkleidung für Heimspiele: so weiß, daß sie im Mondschein fast leuchtete. Nicht wirklich ihr Beschützer, da er nur eine Phantasiegestalt war ... aber irgendwie doch ein Beschützer. Warum nicht? Schließlich war dies ihre Phantasie. Was ist das im Wald gewesen? fragte sie ihn. Keine Ahnung, antwortete Tom. Das klang gleichgültig. Aber er konnte sich diesen gleichgültigen Tonfall natürlich leisten, nicht wahr? Der echte Tom Gordon war zweihundert Meilen von hier entfernt in Boston und schlief inzwischen, vermutlich bei abgesperrter Tür.
    »Wie machst du das?« fragte sie, jetzt wieder schläfrig, so schläfrig, daß sie nicht einmal merkte, daß sie laut sprach. »Was ist das Geheimnis?«
    Geheimnis von was?
    »Wie man ein Spiel entscheidet«, murmelte Trisha, während ihr die Augen zufielen.
    Sie dachte, er werde antworten, man müsse an Gott glauben - deutete er denn nicht nach jedem Erfolg gen Himmel? - oder an sich selbst glauben oder vielleicht sein Bestes versuchen (das war der Wahlspruch von Trishas Fußballtrainer: »Ich verlange nur das eine von euch: Gebt euer Bestes!«), aber am Ufer des kleinen Bachs stehend sagte Nummer 36 nichts dergleichen.
    Du mußt versuchen, dem ersten Batter den Schneid abzukaufen, lautete seine Antwort. Du mußt ihn gleich mit dem ersten Wurf herausfordern, einen Ball werfen, den er nicht treffen kann. Er kommt zum Schlagmal und denkt: Ich bin besser als dieser Kerl. Diese Idee mußt du ihm abgewöhnen, und es ist besser, damit nicht zu warten. Am besten tust du's gleich. Deutlich zu machen, daß du der Bessere bist -das ist das Geheimnis, wie man ein Spiel entscheidet. »Welchen Ball ...« wirfst du beim ersten Pitch am liebsten? hatte sie fragen wollen, aber bevor sie alles herausbringen konnte, war sie eingeschlafen. In Castle View schliefen auch ihre Eltern, diesmal im gleichen schmalen Bett, nachdem sie sich plötzlich, befriedigend und völlig ungeplant, geliebt hatten. Also, wenn mir das jemand vorhergesagt hätte, war Quillas letzter wacher Gedanke. Nicht mal in einer Million Jahre hätte ich ... lautete Larrys.
    Von der ganzen Familie schlief Pete McFarland in den ersten Stunden dieses Morgens im Spätfrühling am unruhigsten; er lag im Zimmer

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