Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
einzige Stechmücke so viel Blut enthalten konnte! Einfach unglaublich! Sie tauchte ihre hohlen Hände ins Wasser und wusch sich das Gesicht. Sie trank nicht davon, weil sie sich vage daran erinnerte, von jemandem gehört zu haben, Waldwasser könne Magenbeschwerden hervorrufen, aber das Gefühl auf ihrer heißen, geschwollenen Haut war wunderbar - wie kalter Satin. Sie schöpfte noch mehr, benetzte damit ihren Nacken und tauchte ihre Arme bis zu den Ellbogen ein. Dann grub sie nach Schlamm und begann ihn zu verteilen -diesmal nicht nur auf den Stichen, sondern überall vom runden Ausschnitt ihres 36 GORDON-Trikots bis hinauf zu ihrem Haaransatz. Während sie das tat, dachte sie an eine Episode aus / Love Lucy, die sie bei Nick at Nite gesehen hatte: Lucy und Ethel waren im Schönheitssalon und trugen diese verrückten Schlammpackungen aus dem Jahre 1958, und Desi kam herein, sah von einer Frau zur anderen und fragte: »He, Lucy, welche bist'n du?«, und das Publikum hatte gejohlt. So sah sie jetzt bestimmt auch aus, aber das war Trisha egal. Hier draußen gab es keine Studiogäste, auch kein Gelächter vom Tonband, und sie konnte es nicht mehr ertragen, noch weiter zerstochen zu werden. Das hätte sie wahnsinnig gemacht.
    Sie trug fünf Minuten lang Schlamm auf, vervollständigte die Maske mit einigen Tupfen auf den Lidern und beugte sich dann über den Bach, um ihr Spiegelbild zu betrachten. Was sie in dem verhältnismäßig stillen Wasser in Ufernähe sah, war ein Schlamm-Mädchen aus einem Panoptikum bei Mondschein. Ihr Gesicht war teigig grau, wie ein Gesicht auf einer bei archäologischen Ausgrabungen ans Tageslicht gebrachten Vase. Darüber standen ihre Haare schmutzig und verfilzt zu Berge. Ihre Augen waren weiß und feucht und ängstlich. Sie sah nicht komisch aus wie Lucy und Ethel bei ihrer kosmetischen Behandlung. Sie sah tot aus. Tot und schlecht aufbalsamiert - oder wie immer das hieß. Trisha wandte sich an das Gesicht im Wasser, als sie intonierte: »Dann sagte Little Black Sambo: Bitte, Tiger, nehmt mir meine schönen neuen Kleider nicht weg.« Aber auch das war nicht komisch. Sie verteilte Schlamm auf ihren geschwollenen, juckenden Armen und wollte danach ihre Hände ins Wasser stecken, um sie zu waschen. Aber das wäre dumm gewesen. Die verflixten alten Mücken hätten sie dann einfach dort gestochen. Die tausend kleinen Nadelstiche in ihrem Arm und ihrem Bein waren fast ganz verschwunden. Trisha konnte sich hinhocken und pinkeln, ohne umzukippen. Sie konnte sogar aufstehen und herumgehen, auch wenn sie ihr Gesicht schmerzlich verzog, sobald sie den Kopf mehr als nur leicht nach rechts oder links drehte. Vermutlich hatte sie eine Art Schleudertrauma erlitten - wie Mrs. Chetwynd aus ihrer Straße, als irgendein alter Mann ihren Wagen von hinten gerammt hatte, während sie an einer roten Ampel gewartet hatte. Der alte Mann war kein bißchen verletzt gewesen, aber die arme Mrs. Chetwynd hatte danach sechs Wochen lang eine Nackenstütze tragen müssen. Vielleicht würde man ihr eine Nackenstütze verpassen, wenn sie hier herauskam. Vielleicht würde man sie mit einem Rettungshubschrauber abtransportieren, der wie in M*A*S*H ein rotes Kreuz auf dem Bauch trug, und sie ... Vergiß es, Trisha. Das war die kalte beängstigende Stimme. Du kriegst keine Nackenstütze. Auch keinen Hubschrauberflug.
    »Halt die Klappe«, murmelte sie, aber die Stimme war nicht so leicht zum Schweigen bringen.
    Du wirst nicht einmal aufgebahrt, weil sie dich nie finden werden. Du stirbst hier draußen, du irrst einfach durch diese Wälder, bis du stirbst, und dann kommen die Tiere und fressen deinen verwesenden Körper, und eines Tages kommt ein Jäger vorbei und entdeckt deine Gebeine. Letzteres war auf so schreckliche Weise glaubhaft - in den Fernsehnachrichten hatte sie ähnliche Geschichten nicht nur einmal, sondern mehrmals gesehen, zumindest glaubte sie, sich daran zu erinnern -, daß sie wieder zu weinen begann. Sie sah den Jäger richtig vor sich: ein Mann in hellroter Wolljacke und orangeroter Mütze, ein Mann mit Dreitagebart. Auf der Suche nach einem Versteck, um einem Weißwedelhirsch aufzulauern, oder vielleicht auch nur, um auszutreten. Er sieht etwas Weißes und denkt zuerst: Bloß ein Stein, aber als er näher kommt, sieht er, daß dieser Stein Augenhöhlen hat »Hör auf«, flüsterte sie und ging zu dem umgestürzten Baum und den darunter ausgebreiteten verknitterten Überresten ihres Ponchos zurück (sie

Weitere Kostenlose Bücher