Das Mädchen.
ihre Hand den Turnschuh, und sie zog ihn heraus. Sie betrachtete ihn - ein schwarzer Schlammschuh, genau richtig für ein über und über schlammiges Mädchen, der letzte Schrei, die totale Hühnerkacke, wie Pepsi gesagt hätte - und begann wieder zu weinen. Sie hob den Schuh hoch, kippte ihn, und schwarze Brühe lief heraus. Das brachte sie zum Lachen. Dann saß sie ungefähr eine Minute lang im Schneidersitz mit dem geretteten Turnschuh im Schoß auf dem Erdhügel und lachte und weinte im Mittelpunkt eines um sie kreisenden schwarzen Universums aus Insekten, während die toten Bäume ringsum Wache standen und die Grillen zirpten.
Schließlich flaute ihr Weinen zu einem Schniefen, ihr Lachen zu einem erstickten und irgendwie humorlosen Kichern ab. Sie rupfte einige Grasbüschel aus dem Erdhügel und wischte damit die Außenseite ihres Turnschuhs sauber, so gut es eben ging. Dann machte sie ihren Rucksack auf, zerriß die Lunchtüte und benutzte die Stücke als Papierhandtücher, um den Schuh innen auszuwischen. Diese Stücke knüllte sie zusammen und warf sie achtlos hinter sich. Wenn jemand sie verhaften wollte, weil sie diese potthäßliche, übelriechende Gegend verunreinigt hatte, dann sollte er doch!
Sie stand auf, noch immer mit ihrem geretteten Schuh in der Hand, und sah nach vorn. »O fuck«, krächzte sie. Das war das erste Mal in ihrem Leben, daß Trisha das bewußte Wort laut ausgesprochen hatte. (Pepsi sagte es manchmal, aber Pepsi war eben Pepsi.) Jetzt konnte sie das Grün, das sie irrtümlich für einen Hügelrücken gehalten hatte, besser sehen. Es waren Schilfinseln, sonst nichts, nur weitere Schilfinseln. Zwischen ihnen standen weitere Tümpel mit brackigem Wasser und noch viel mehr Bäume, die meisten abgestorben, manche jedoch mit grünen Wedeln an den Kronen. Sie konnte Frösche quaken hören. Kein Hügel. Vom Moor zum Sumpf, vom Regen in die Traufe. Sie drehte sich um und blickte zurück, aber sie konnte nicht mehr erkennen, wo sie diese höllische Wasserwüste betreten hatte. Hätte sie daran gedacht, die Stelle mit etwas Leuchtendem zu markieren - zum Beispiel mit einem Stück ihres häßlichen, zerfetzten Ponchos -, hätte sie zurückgehen können. Aber sie hatte es nicht getan, und das war's nun. Du kannst trotzdem zurückgehen - du kennst die grobe Richtung.
Vielleicht, aber sie dachte nicht daran, sich auf Ideen dieser Art einzulassen, die sie überhaupt erst in diese mißliche Lage gebracht hatten.
Trisha sah sich nach den Schilfhügeln und dem verschwommenen Sonnenglanz auf den mit Algen bedeckten Tümpeln um. Reichlich Bäume, an denen man sich festhalten konnte, und dieser Sumpf mußte irgendwo aufhören, nicht wahr? Du bist verrückt, wenn du daran auch nur denkst. Klar. Dies war eine verrückte Situation. Trisha blieb noch einen Augenblick stehen und war jetzt in Gedanken bei Tom Gordon und seiner ganz speziellen Stille, mit der er auf dem Wurfhügel stand und darauf achtete, was einer der Catcher der Red Sox, Hatteberg oder Veritek, ihm durch Zeichen signalisierte. So still (wie sie jetzt dastand), daß diese tiefe Stille irgendwie von seinen Schultern nach allen Richtungen auszustrahlen schien. Und danach ging er zum Wurfmal und kam in Bewegung.
Er hat Eiswasser in den Adern, sagte ihr Dad. Sie wollte hier raus, erst mal aus diesem gräßlichen Sumpf, dann aus dem verdammten Wald insgesamt; sie wollte dorthin zurück, wo es Menschen und Läden und Einkaufszentren und Telefone und Polizeibeamten gab, die einem halfen, wenn man sich verlief. Und sie traute sich das zu. Wenn sie tapfer sein konnte. Wenn sie nur ein wenig von dem alten Eiswasser in den Adern hatte. Trisha löste sich aus ihrer eigenen Stille, zog den zweiten Reebok aus und knotete die Schnürsenkel beider Turnschuhe zusammen. Sie hängte sie sich wie Kuckucksuhrgewichte um den Hals, überlegte, ob sie auch ihre Socken ausziehen sollte, beschloß jedoch, sie als eine Art Kompromiß anzubehalten (als Igitt-Schutz lautete der Gedanke, der ihr in Wirklichkeit durch den Kopf ging). Sie rollte ihre Jeans bis zu den Knien hoch, holte dann tief Luft und atmete langsam aus.
»McFarland holt aus, McFarland wirft«, sagte sie. Sie setzte ihre Red-Sox-Mütze wieder auf (diesmal verkehrt herum, weil verkehrt herum cool war) und brach erneut auf. Trisha bewegte sich vorsichtig und bedächtig von einem Erdhügel zum nächsten, sah häufig mit kurzen, flüchtigen Blicken auf, wählte Markierungspunkte und hielt dann genau wie
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