Das Mädchen.
Vorstellung, die sie nicht ertragen konnte. Einmal machte sie halt, um aus ihrer Wasserflasche zu trinken, und gegen vier Uhr trank sie ihr restliches Surge, fast ohne es zu merken.
Die abgestorbenen Bäume fingen an, weniger und weniger wie Bäume und immer mehr wie hagere Wachposten auszusehen, die mit ihren knorrigen Füßen in dem stillen schwarzen Wasser standen. Bald wirst du wieder denken, sie hätten Gesichter, sagte Trisha sich. Als sie an einem dieser Bäume vorbeiwatete (hier gab es in zehn Meter Umkreis keine einzige Schilfinsel), stolperte sie über einen im Wasser nicht sichtbaren Ast oder eine Wurzel und klatschte diesmal der vollen Länge nach planschend und keuchend hin. Mit Sediment versetztes schlammiges Wasser lief ihr in den Mund, und sie spuckte es mit einem Aufschrei aus. Sie konnte ihre Hände im dunklen Wasser sehen. Sie sahen gelblich und talgig aus - wie schon vor langer Zeit ertrunken. Sie zog sie heraus und hielt sie hoch.
»Ich bin okay«, sagte Trisha hastig, und sie spürte beinahe, wie sie irgendeine wichtige Scheidelinie überschritt; sie hatte beinahe das Gefühl, die Grenze zu irgendeinem anderen Land zu überschreiten, in dem eine andere Sprache gesprochen wurde und das Geld komisch war. Die Umstände änderten sich. Aber ...
»Ich bin okay. Doch, ich bin okay.« Und ihr Rucksack war trocken geblieben. Das war wichtig, denn er enthielt ihren Walkman, und ihr Walkman war ihre einzige Verbindung zur Außenwelt.
Schmutzig und vorn nun völlig durchnäßt, marschierte Trisha weiter. Ihr nächster Markierungspunkt war ein abgestorbener Baum, dessen auf halber Höhe gespaltener Stamm wie ein schwarzes Y vor der schon im Westen stehenden Sonne aufragte. Sie bewegte sich darauf zu. Unterwegs kam sie an einem Erdhügel vorbei, streifte ihn mit einem Blick und watete weiter. Wozu sich damit aufhalten? Watend kam sie schneller voran. Ihr Ekel vor dem kalten, verrotteten Gallert unter ihren Füßen war abgeklungen. Wenn man mußte, konnte man sich an alles gewöhnen. Das wußte sie jetzt.
Nicht lange nach ihrem ersten Sturz ins Wasser fing Trisha an, sich mit Tom Gordon zu unterhalten. Anfangs kam ihr das merkwürdig vor - sogar fast unheimlich -, aber in den langen Stunden des Spätnachmittags streifte sie ihre Befangenheit ab, schwatzte munter drauflos, erzählte ihm, zu welchem Markierungspunkt sie als nächstes unterwegs war, erklärte ihm, dieses Sumpfgebiet sei vermutlich durch einen Waldbrand entstanden, und versicherte ihm, sie würden bald aus den Sümpfen herauskommen, die schließlich nicht ewig weitergehen könnten. Sie erzählte ihm gerade, daß sie hoffe, die Red Sox würden heute mindestens zwanzig Runs erzielen, damit er sich draußen in der Aufwärmzone einen ruhigen Abend machen könne, als sie plötzlich abbrach. »Hast du auch was gehört?« fragte sie. Ob Tom etwas gehört hatte, wußte sie nicht, aber sie hatte etwas gehört: das stetige Knattern von Hubschrauberrotoren. Fern, aber unverkennbar. Trisha hatte auf einem Erdhügel gerade eine kleine Rast eingelegt, als sie das Geräusch hörte. Sie sprang auf, drehte sich mit einer über die Augen gelegten Hand im Kreis und suchte mit zusammengekniffenen Augen den Horizont ab. Sie sah nichts, und wenig später verhallte das Geräusch.
»Spaghetti«, sagte sie zutiefst enttäuscht. Aber immerhin suchte man nach ihr. Sie erschlug eine Mücke an ihrem Hals und setzte sich wieder in Bewegung. Zehn oder fünfzehn Minuten später stand sie in ihren sich allmählich auflösenden und schmutzstarrenden Socken auf einer halb unter Wasser liegenden Baumwurzel und sah neugierig und fragend nach vorn. Jenseits der sie umgebenden unregelmäßigen Reihe abgeknickter Bäume ging der Sumpf in einen seichten, stehenden Tümpel über. Quer durch seine Mitte zogen sich weitere Erdhügel, die aber nicht grün bewachsen, sondern braun waren und aus abgerissenen Zweigen und abgenagten Ästen zu bestehen schienen. Auf einigen von ihnen hockte etwa ein halbes Dutzend dicker brauner Tiere, die aufmerksam zu ihr hinüberstarrten.
Die Denkfalten auf Trishas Stirn glätteten sich langsam, als ihr klar wurde, was für Tiere das waren. Sie vergaß darüber völlig, daß sie im Sumpf war, daß sie naß und schlammig und müde war, daß sie sich verirrt hatte.
»Tom«, flüsterte sie ein bißchen atemlos. »Das sind Biber! Biber, die auf Biberhäusern oder Bibertipis oder wie man sie sonst nennt sitzen. Das sind welche, stimmt's?« Sie stand auf
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