Das Mädchen.
jetzt hindurchschlängelte, abgestorben waren, noch wie der Boden unter ihren Füßen weicher zu werden begann. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war auf den Bach konzentriert. Sie folgte ihm mit gesenktem Kopf: ein Anblick vorbildlicher Konzentration.
Der Bach wurde wieder breiter, und sie gestattete sich etwa eine Viertelstunde lang (das war gegen Mittag) die Hoffnung, er werde doch nicht versiegen. Dann erkannte sie, daß er zugleich seichter wurde; in Wirklichkeit bestand er aus kaum mehr als einer Reihe von Tümpeln, von denen die meisten mit Algen überwuchert und von unzähligen Insekten belebt waren. Etwa zehn Minuten später verschwand ihr linker Turnschuh im Erdboden, der an dieser Stelle nicht fest war, sondern nur aus einem täuschenden Moospolster über einem Schlammloch bestand. Die schlammige Brühe floß bis über ihren Knöchel, und Trisha zog ihren Fuß mit einem angewiderten kleinen Aufschrei heraus. Der kräftige Ruck zog ihr den Schuh halb vom Fuß. Trisha schrie erneut halblaut auf und lehnte sich an einen abgestorbenen Baum, während sie erst ihren Fuß mit Grasbüscheln abwischte und dann ihren Turnschuh wieder anzog. Als sie damit fertig war, sah sie sich um und stellte fest, daß sie eine Art Geisterwald erreicht hatte: ein Gebiet, in dem ein Waldbrand gewütet hatte. Vor ihr (und auch schon um sie herum) erstreckte sich ein wirres Labyrinth aus längst abgestorbenen ßäumen. Der Boden, auf dem sie stand, war naß und sumpfig. Aus flachen Tümpeln mit stehendem Wasser ragten Erdhügel wie Schildkrötenpanzer, die mit Schilf, Gras und Unkraut bewachsen waren. Die Luft summte von Stechmücken, zwischen denen Libellen umherschwirrten. Hier gab es jetzt mehr emsig hämmernde Spechte, dem Geräusch nach Dutzende von ihnen. So viele abgestorbene Bäume, so wenig Zeit. Trishas Bach schlängelte sich in diesen Morast davon und verschwand darin.
»Was mache ich jetzt, häh?« fragte sie weinerlich und mit müder Stimme. »Sagt mir das bitte mal jemand?« Hier gab es mehr als genug Plätze, an denen man sitzen und darüber nachdenken konnte; überall lagen umgestürzte tote Bäume, viele noch mit Brandspuren an ihren ausgebleichten Stämmen. Der erste, auf den sie sich setzen wollte, knickte jedoch unter ihrem Gewicht ein und ließ sie rücklings auf den morastigen Boden plumpsen. Trisha schrie auf, als die Feuchtigkeit durch ihre Jeans drang - Gott, sie haßte es, einen nassen Hosenboden zu haben -, und rappelte sich gleich wieder auf. Der Baumstamm war in dieser feuchten Umgebung durchgefault; seine frisch abgebrochenen Enden wimmelten von Kugelasseln. Trisha beobachtete sie einige Sekunden lang voll Faszination und gleichzeitig voller Abscheu und ging dann zum nächsten umgestürzten Baum. Diesen prüfte sie zuerst. Er schien belastbar zu sein, und sie setzte sich müde darauf, blickte über den Sumpf mit den Baumruinen, rieb sich geistesabwesend das schmerzende Genick und versuchte zu entscheiden, was sie als nächstes tun sollte.
Obwohl ihr Verstand jetzt weniger klar war als beim Aufwachen, viel weniger klar, schien sie weiterhin nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten zu haben: Sie konnte hierbleiben und auf Rettung hoffen oder weiterwandern und versuchen, den Suchtrupps entgegenzugehen. An Ort und Stelle zu bleiben, wäre in gewisser Beziehung vernünftig gewesen, nahm sie an - zum Beispiel um Kräfte zu sparen. Wohin würde sie außerdem ohne den Bach gehen? Völlig ins Ungewisse, das stand fest. Sie konnte sich in Richtung Zivilisation bewegen; sie konnte sich aber auch von der Zivilisation entfernen. Sie konnte sogar im Kreis laufen. Andererseits (»Zu jedem einerseits gehört ein andererseits, Schatz«, hatte ihr Vater ihr einmal erklärt) gab es hier nichts Eßbares, es stank hier nach Schlamm und verfaulenden Bäumen und wer weiß was sonst für ekligem Zeug, hier war es häßlich, die ganze Gegend hier war vergammelt. Trisha fiel ein, daß sie die Nacht hier würde verbringen müssen, falls sie dablieb und bis Einbruch der Dunkelheit nicht gerettet wurde. Der reinste Horror. Im Vergleich zu diesem Sumpf war die kleine halbmondförmige Lichtung Disneyland gewesen.
Sie stand auf und spähte in die Richtung, die der Bach genommen hatte, bevor er verschwunden war. Vor ihr lag ein Labyrinth aus grauen Baumstämmen mit ihren kreuz und quer abstehenden toten Ästen, aber sie glaubte, dahinter etwas Grünes zu sehen. Ein ansteigendes Grün. Vielleicht ein Hügel. Und mehr Scheinbeeren? He,
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