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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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voll, sondern restlos vollgestopft war. Sie wußte nicht, wie lange dieses Gefühl anhalten würde - Beeren und Bucheckern waren vermutlich wie chinesisches Essen: es füllte einen, daß man dachte, man platze, aber nach einer Stunde war man schon wieder hungrig -, aber vorläufig fühlte sie sich wie ein übervoller Weihnachtsstrumpf. Es war wunderbar, satt zu sein. Sie hatte neun Jahre lang gelebt, ohne dieses Gefühl kennengelernt zu haben, und sie hoffte, sie würde es nie wieder vergessen: Es war wunderbar, satt zu sein. Trisha lehnte sich mit dem Rücken an den Baum und blickte zutiefst glücklich und dankbar in ihren Rucksack. Wäre sie nicht so voll gewesen (zu vollgefressen, um auch nur papp sagen zu können, dachte sie), hätte sie ihren Kopf in den Rucksack gesteckt wie eine Stute in ihren Futtersack, nur um ihre Nase mit dem köstlichen Duft dieser Mischung aus Bucheckern und Scheinbeeren zu füllen. »Ihr habt mir das Leben gerettet, Jungs«, sagte sie. »Ihr habt mir echt das Leben gerettet.«
    Auf dem anderen Ufer des rauschenden Bachs lag eine kleine Lichtung, deren Boden mit Kiefernnadeln gepolstert war. Dort drüben fiel der Sonnenschein in breiten gelben Streifen ein, die mit langsam tanzenden Pollen und Waldstaub gefüllt waren. In diesem warmen Licht spielten Schmetterlinge, die sich anmutig umgaukelten. Trisha faltete die Hände auf ihrem Bauch, in dem keine Leere mehr toste, und beobachtete die Schmetterlinge. In diesem Augenblick sehnte sie sich nicht nach ihrer Mutter, ihrem Vater, ihrem Bruder oder ihrer besten Freundin. In diesem Augenblick wünschte sie sich nicht einmal nach Hause zurück, obwohl ihr ganzer Körper schmerzte und ihr Hinterteil brannte und juckte und beim Gehen scheuerte. In diesem Augenblick war sie mit sich selbst im reinen, und nicht nur das: Sie erlebte die größte Zufriedenheit, die sie je gekannt hatte. Falls ich hier lebend rauskomme, kann ich das keinem erzählen, dachte sie. Ihre Lider wurden schwer, während sie die Schmetterlinge jenseits des Bachs beobachtete. Zwei von ihnen waren weiß; der dritte war samtig dunkelbraun, vielleicht schwarz.
    Was erzählen, Schätzchen? Das war die taffe Tussi, aber ihre Stimme klang ausnahmsweise nicht kalt, nur neugierig. Was wirklich ist. Wie einfach alles ist. Bloß essen ... nun, bloß etwas zu essen haben und danach voll sein ... »Das unterschwellig Wahrnehmbare«, sagte Trisha laut. Sie beobachtete weiter die Schmetterlinge. Zwei weiße und ein dunkler, die sich zu dritt in der Nachmittagssonne umtanzten. Sie dachte an Little Black Sambo oben auf dem Baum, unter dem die Tiger in seinen schönen neuen Sachen herumliefen und herumliefen, bis sie zuletzt schmolzen und zu Butter wurden. Zu dem, was ihr Dad Butterschmalz nannte.
    Ihre rechte Hand löste sich von der linken, rutschte ab, wobei sie sich drehte, und plumpste mit der Handfläche nach oben zu Boden. Es schien zu anstrengend zu sein, sie wieder hochzuheben, deshalb ließ Trisha sie, wo sie war.
    Und das unterschwellig Wahrnehmbare, Herzchen? Was ist damit?
    »Nun«, antwortete Trisha mit langsamer, schläfriger und nachdenklicher Stimme. »Es ist nicht so, als ob das nichts wäre ... nicht wahr?«
    Die taffe Tussi äußerte sich nicht dazu. Darüber war Trisha froh. Sie fühlte sich so schläfrig, so satt, so wundervoll. Sie schlief jedoch nicht; auch später, als sie wußte, daß sie geschlafen haben mußte, kam es ihr nicht so vor, als hätte sie es getan. Sie erinnerte sich, daß sie an den Garten ihres Dads hinter dem neuen, kleineren Haus gedacht hatte, daß der Rasen gemäht werden mußte und die Gartenzwerge verschlagen wirkten - als wüßten sie etwas, was man selbst nicht wußte - und wie Dad angefangen hatte, in ihren Augen alt und traurig auszusehen, schon weil ständig dieser Bierdunst aus seinen Poren drang. Das Leben konnte sehr traurig sein, so schien es ihr, und meistens war es, was es sein konnte. Die Menschen taten so, als sei es das nicht, und sie belogen ihre Kinder (beispielsweise hatte kein Film und keine Fernsehsendung, die sie jemals gesehen hatte, sie darauf vorbereitet, das Gleichgewicht zu verlieren und rücklings in ihre eigene Kacke zu plumpsen), um sie nicht zu erschrecken oder frühzeitig zu entmutigen, aberyeah, es konnte traurig sein. Die Welt hatte Zähne, und sie konnte damit zubeißen, wann immer sie wollte. Das wußte sie jetzt. Sie war erst neun, aber sie wußte es, und sie glaubte, es akzeptieren zu können. Sie war

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