Das Mädchen.
Der Name klang nur vage bekannt; seine Bedeutung hatte sie völlig vergessen.
»Walt aus Framingham. Der El Dopo am Mobiltelefon.«
Sie begann sich zu erinnern. »Und dann hat's Sternschnuppen gegeben.«
Tom nickte.
Trisha umschritt langsam den Pfosten, ohne dabei ihre Hand von dem Ringbolzen zu nehmen. Sie musterte ihre Umgebung prüfend und stellte fest, daß dies gar keine Lichtung war, nicht wirklich. Hier wuchs zuviel Gras - das hohe grüne Gras, das man auf Wiesen oder Weiden sah. Dies war eine Wiese, war zumindest vor langer Zeit eine gewesen. Ignorierte man die Birken und das Gestrüpp und betrachtete diese Fläche als Ganzes, konnte man sie mit nichts anderem verwechseln. Es war eine Wiese. Menschen legten Wiesen an, genau wie Menschen Pfosten in die Erde rammten, Pfosten mit Ringbolzen.
Trisha ließ sich auf ein Knie nieder und fuhr mit einer Hand den Pfosten hinauf und hinunter - nur leicht, um sich keinen Splitter einzuziehen. Halb auf der anderen Seite entdeckte sie zwei Löcher und einen verbogenen alten Metallstift. Sie tastete das Gras darunter ab, fand nicht gleich etwas und grub tiefer in den verfilzten Untergrund hinein. Dort, unter altem Heu und Timotheusgras verborgen, fand sie noch etwas. Trisha brauchte beide Hände, um es herauszureißen. Es erwies sich als ein rostiges altes Scharnier. Sie hielt es gegen die Sonne hoch. Ein bleistiftdünner Lichtstrahl fiel durch eines der Schraubenlöcher und erzeugte auf ihrer Wange einen hellen Lichtfleck. »Tom«, flüsterte Trisha. Sie sah zu der Stelle hinüber, wo er mit verschränkten Armen an dem Ahorn gelehnt hatte, und erwartete eigentlich, daß er verschwunden sein würde. Aber er war noch da, und obwohl er nicht lächelte, glaubte sie, um Mund und Augen die Andeutung eines Lächelns zu sehen. »Tom, sieh nur!« Sie hielt das Scharnier hoch. »Es ist ein Tor gewesen«, sagte Tom. »Ein Tor!« wiederholte sie hingerissen. »Ein Tor!« Anders ausgedrückt: etwas, das Menschen gemacht hatten. Leute aus einem Märchenland mit Elektrizität und Haushaltsgeräten und dem Insektenschutzmittel 6-12. »Dies ist deine letzte Chance, weißt du.«
»Was?« Sie musterte ihn unbehaglich. »Die letzten Innings laufen. Mach keinen Fehler, Trisha.«
»Tom, du ... «
Aber dort drüben stand keiner mehr. Tom war fort. Sie hatte ihn jedoch eigentlich nicht richtig verschwinden sehen, weil Tom von Anfang an nicht dagewesen war. Er existierte nur in ihrer Phantasie.
Was ist das Geheimnis, wie man ein Spiel entscheidet? hatte sie ihn gefragt - sie wußte nicht mehr genau, wann. Du mußt deutlich machen, daß du der Bessere bist, hatte Tom gesagt, wobei ihr Verstand vermutlich einen nur mit halbem Ohr gehörten Kommentar aus einer Sportshow oder vielleicht ein Interview nach einem Spiel wiederverwertet hatte, das sie sich mit ihrem Vater angesehen hatte - sein Arm um ihre Schultern, ihr Kopf an ihn gelehnt. Deine letzte Chance. Letzte Innings. Mach keinen Fehler, Trisha.
Wie soll ich das können, wenn ich nicht mal weiß, was ich tue?
Als darauf keine Antwort kam, ging Trisha noch einmal mit ihrer auf den Ringbolzen gelegten Hand um den Pfosten, so bedächtig und so anmutig wie ein angelsächsisches Mädchen bei irgendeinem uralten Brautritual um den Maibaum. Der Wald, der die überwucherte Wiese einschloß, schien sich vor ihren Augen zu drehen, wie es die Dinge taten, wenn man in Revere Beach oder Old Orchard Karussell fuhr. Er sah nicht anders aus als die Wälder, in denen sie schon viele Meilen zurückgelegt hatte, und wohin sollte sie sich wenden? Welche Richtung war die richtige? Dies war ein Pfosten, aber kein Wegweiser.
»Ein Pfosten, kein Wegweiser«, flüsterte sie und ging jetzt etwas schneller. »Wie kann er mir weiterhelfen, wenn er ein Pfosten, aber kein Wegweiser ist? Wie soll ein Schwachkopf wie ich ... «
Dann hatte sie eine Idee und ließ sich wieder auf die Knie fallen. Sie schlug sich ein Schienbein an einem Felsbrocken auf, daß es blutete, aber sie bemerkte es kaum. Vielleicht war er doch ein Wegweiser. Vielleicht war er einer.
Weil er ein Torpfosten gewesen war. Trisha suchte wieder die Löcher in dem Pfosten, in denen die Scharnierschrauben gesessen hatten. Sie kniete sich so hin, daß ihre Füße zu den Löchern zeigten, und kroch dann langsam geradeaus davon. Ein Knie nach vorn ... dann das andere ... dann wieder das erste ... »Au!« schrie sie und riß ihre Hand aus dem Gras hoch. Das hatte mehr weh getan als vorhin, als sie sich
Weitere Kostenlose Bücher