Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
das Schienbein angeschlagen hatte. Sie betrachtete ihre Hand und sah kleine Blutstropfen durch die Schmutzkruste heraufquellen. Trisha stützte sich auf ihre Ellbogen und zerteilte das Gras mit beiden Händen, denn obwohl sie wußte, was sich in ihre Hand gerammt hatte, mußte sie es trotzdem sehen. Es war der gezackte Stumpf des ungefähr einen Fuß über dem Erdboden abgebrochenen zweiten Torpfostens, und sie konnte wirklich von Glück sagen, daß sie sich daran nicht mehr verletzt hatte; einige der aus dem abgebrochenen Pfosten in die Höhe ragenden Splitter waren gut drei Zoll lang und sahen nadelspitz aus. Nicht weit hinter dem Stumpf lag der abgebrochene Teil des Pfostens in dem grauen, verfilzten Gras des Vorjahres verborgen, über dem das aggressive neue Grün dieses Junis wucherte. Letzte Chance. Letzte Innings.
    »Ja, aber vielleicht erwartet hier jemand schrecklich viel von einem Kind«, sagte Trisha. Sie ließ den Rucksack von ihren Schultern gleiten, machte ihn auf, zerrte die Reste ihres Ponchos heraus und riß einen der Streifen ab. Diesen knotete sie um den Stumpf des abgebrochenen Torpfostens, wobei sie nervös hustete. Schweiß lief ihr übers Gesicht. Stechfliegen kamen, um ihn zu trinken; einige ertranken; Trisha merkte nichts davon.
    Sie stand auf, schlüpfte wieder durch die Tragriemen ihres Rucksacks und stellte sich in die Mitte zwischen den noch stehenden Torpfosten und den blauen Plastikstreifen, der den abgebrochenen markierte.
    »Hier ist das Tor gewesen«, sagte sie. »Genau hier.« Sie sah geradeaus, in Richtung Nordwesten. Dann machte sie kehrt und blickte nach Südosten. »Ich weiß nicht, warum jemand hier ein Tor aufgestellt hat, aber ich weiß, daß niemand sich die Mühe gemacht hätte, wenn's hier keine Straße, keinen Wanderweg, keinen Reitweg oder irgendwas gäbe. Ich will ... « Ihre Stimme zitterte, den Tränen nahe. Sie machte eine Pause, schluckte die Tränen hinunter und fing noch einmal an. »Ich will den Weg finden. Irgendeinen Weg. Wo ist er? Hilf mir, Tom.«
    Nummer 36 antwortete nicht. Ein Eichelhäher schalt sie, und im Wald bewegte sich etwas (nicht das Ding, nur irgendein Tier, vielleicht ein Weißwedelhirsch - sie hatte in den letzten drei oder vier Tagen viele Hirsche gesehen), aber das war alles. Vor ihr, rings um sie herum lag eine Wiese, die so alt war, daß man sie jetzt leicht für eine weitere gewöhnliche Lichtung halten konnte, wenn man nicht genau hinsah. Jenseits der Lichtung sah sie wieder Wald, weitere Bäume, für die sie keine Namen hatte. Sie sah keinen Weg.
    Dies ist deine letzte Chance, weißt du. Trisha machte wieder kehrt, ging über die freie Fläche nach Nordwesten und sah sich dann um, um sich zu vergewissern, daß sie eine gerade Linie eingehalten hatte. Das hatte sie, und sie blickte wieder nach vorn. Zweige bewegten sich in einer leichten Brise, warfen verwirrende Lichtflecken auf den Waldboden und erzeugten damit fast den Effekt einer Diskokugel. Sie konnte einen umgestürzten Baumstamm sehen, ging darauf zu, schlüpfte zwischen dicht zusammenstehenden Bäumen und unter lästig verwobenen Zweigen hindurch, stets hoffend ... aber es war ein Baumstamm, nur ein Baumstamm, kein weiterer Pfosten. Sie blickte weiter nach vorn, sah aber nichts. Mit hämmerndem Herzen und hechelndem Atem, der in schleimigen kleinen Stößen kam, kämpfte Trisha sich auf die Lichtung zurück und erreichte wieder die Stelle, wo das Tor gestanden hatte. Diesmal blickte sie nach Südosten und ging erneut langsam auf den Waldrand zu.
    Jetzt aber ran, sagte Troop immer, wir sind in den letzten
    Innings, und die Red Sox brauchen Base Runner.
    Wald. Nichts als Wald. Nicht einmal ein Wildwechsel - oder zumindest keiner, den Trisha sehen konnte -, von einem Weg ganz zu schweigen. Sie ging etwas weiter, bemühte sich noch immer, nicht zu weinen, und wußte, daß sie die Tränen sehr bald nicht mehr würde zurückhalten können.
    Warum mußte der Wind wehen? Wie sollte sie etwas sehen, wenn überall diese beschissenen kleinen Sonnenflecken herumgeisterten? Sie kam sich wie in einem Planetarium oder dergleichen vor.
    »Was ist das?« fragte Tom hinter ihr.
    »Was?« Trisha drehte sich nicht einmal um. Toms Auftritte erschienen ihr nicht mehr besonders wunderbar. »Ich sehe nichts.«
    »Vor dir links. Nur ganz wenig.« Dann ein Finger, der über ihre Schulter deutete.
    »Das ist nur ein alter Baumstumpf«, sagte sie - aber stimmte das? Oder hatte sie nur Angst davor, zu

Weitere Kostenlose Bücher