Das Mädchen.
glauben, das könnte ein ...
»Das glaube ich nicht«, sagte Nummer 36, der natürlich die scharfen Augen eines Baseballspielers hatte. »Ich glaube, das ist wieder ein Pfosten, Mädchen.« Trisha arbeitete sich zu ihm vor (und das war Arbeit; die Bäume standen hier zum Verrücktwerden eng, das Unterholz war dicht, der Waldboden darunter steinig und glitschig), und ja, es war ein weiterer Pfosten. Dieser hier trug auf seiner Innenseite mehrere rostige Stacheldrahtenden, die sie an spitze kleine Fliegen (wie sie manche Männer statt Krawatten trugen) erinnerten.
Trisha stand mit einer Hand auf seiner angefaulten oberen Fläche da und blickte tiefer in den Wald hinein, der mit den verwirrenden Sonnenflecken gesprenkelt war. Sie erinnerte sich undeutlich daran, wie sie an einem Regentag in ihrem Zimmer gesessen und sich mit einem Spiel- und Bastelbuch beschäftigt hatte, das Mom ihr gekauft hatte. Darin gab es ein Bild, ein unglaublich volles Suchbild, auf dem man zehn versteckte Gegenstände finden sollte: eine Pfeife, einen Clown, einen Brillantring, solches Zeug. Jetzt mußte sie den Weg finden. Bitte, lieber Gott, hilf mir, den Weg zu finden, dachte sie und schloß die Augen. Es war der Gott Tom Gordons, zu dem sie betete, nicht das unterschwellig Wahrnehmbare ihres Vaters. Sie war jetzt nicht in Maiden, auch nicht in Sanford, und sie brauchte einen Gott, der wirklich da war, zu dem man hinaufdeuten konnte, wenn - falls - man das Spiel gewann. Bitte, lieber Gott, bitte. Hilf mir in den letzten Innings. Sie öffnete die Augen, so weit sie konnte, und sah hin, ohne hinzusehen. Fünf Sekunden verstrichen, fünfzehn Sekunden, dreißig. Und plötzlich war etwas da. Sie hatte keine Ahnung, was sie genau sah - vielleicht einfach einen Sektor, auf dem es weniger Bäume und etwas helleres Licht gab, vielleicht nur ein suggestives Muster aus Schatten, die alle in dieselbe Richtung wiesen -, aber sie wußte sofort, was das war: die letzten Spuren eines Weges. Ich kann daraufbleiben, solange ich nicht zu sehr darüber nachdenke, sagte Trisha sich, als sie weiterzugehen begann. Sie kam zu einem weiteren, schon sehr schief geneigten Pfosten; noch ein weiterer Winter mit Schnee und Eis, ein weiterer Frühling mit Tauwetter, dann würde er umstürzen und vom Gras des nächsten Sommers überwuchert werden. Wenn ich zuviel darüber nachdenke oder zu genau hinsehe, verliere ich ihn.
Mit dieser Vorgabe begann Trisha, den wenigen Pfosten zu folgen, die von denen übriggeblieben waren, die ein Farmer namens Elias McCorkle im Jahre 1905 eingerammt hatte. Sie markierten einen Holzweg, den er als junger Mann angelegt hatte, bevor er dem Alkohol verfiel und seinen Ehrgeiz verlor. Trisha ging mit weit geöffneten Augen und zögerte niemals (dadurch hätte das Nachdenken eine Chance gehabt, sich einzuschleichen, und sie sehr wahrscheinlich getäuscht). Manchmal gab es Abschnitte, auf denen keine Pfosten standen, aber sie machte nicht halt, um im dichten Unterholz nach ihren Überresten zu fahnden; sie ließ sich von dem Licht, den Schattenmustern und ihrem eigenen Instinkt leiten. In dieser stetigen Art marschierte sie für den Rest des Tages weiter und schlängelte sich durch dichte Baumbestände und hohes Dornengestrüpp, ohne die schwache Spur des Weges jemals aus den Augen zu lassen. Sie war gute sieben Stunden lang unterwegs, und als sie sich gerade vorstellte, wie sie wieder unter ihrem Poncho würde schlafen müssen - darunter zusammengerollt, um vor den schlimmsten Insekten geschützt zu sein -, erreichte sie den Rand einer weiteren Lichtung. Drei Pfosten, die wie betrunken hierhin und dorthin kippten, marschierten zu ihrer Mitte. Am letzten dieser Pfosten hing noch immer ein Rest eines zweiten Tors, das hauptsächlich von dem dicht verfilzten Gras gehalten wurde, das die beiden unteren Kreuzstreben überwucherte. Dahinter führten zwei mit Gras und Gänseblumen überwachsene, allmählich verblassende Spuren nach Süden, in einer Kurve wieder in den Wald hinein. Eine alte Forststraße.
Trisha ging langsam an dem Tor vorbei zu der Stelle, wo die Straße zu beginnen schien (oder zu enden; es kam darauf an, vermutete sie, in welche Richtung man blickte). Sie blieb einen Augenblick bewegungslos stehen, dann sank sie auf die Knie und kroch eine der Fahrspuren entlang. Während sie das tat, begann sie wieder zu weinen. Sie kroch über die mit Gras bewachsene Mitte der alten Straße, ließ sich vom hohen Gras am Kinn kitzeln und folgte
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