Das Mädchen.
paar Kaulquappen zu fangen. Diese verschlang sie ganz, nachdem sie sich zuvor davon überzeugt hatte, daß sie wirklich tot waren. Sie litt unter der Vorstellung, die Kaulquappen könnten in ihrem Magen weiterleben und sich dort in Frösche verwandeln. Sie war krank, das hatte sie ganz richtig erkannt, aber ihr Körper wehrte sich mit bemerkenswerter Zähigkeit gegen die Infektion, die Rachen, Brust und Stirnhöhlen erfaßt hatte. Sie fühlte sich oft stundenlang fiebrig, kaum mehr von dieser Welt. Alles Licht, selbst wenn es schwach und durch ein dichtes Blätterdach abgeschirmt war, tat ihren Augen weh, und sie redete ständig - meistens mit Tom Gordon, aber auch mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrem Vater, Pepsi und allen Lehrern und Lehrerinnen, die sie je gehabt hatte, bis zu Mrs. Garmond im Kindergarten zurück. Sie weckte sich nachts selbst auf, wenn sie mit bis zum Kinn hochgezogenen Knien von Fieberschauern geschüttelt auf der Seite lag und so stark hustete, daß sie fürchtete, in ihrem Inneren könnte etwas reißen. Aber statt weiter zu steigen, ging das Fieber dann entweder zurück oder verschwand ganz, und die Kopfschmerzen, die damit einhergingen, ließen ebenfalls nach. Sie erlebte eine Nacht (die zum Mittwoch, obwohl sie das nicht wußte), in der sie durchschlief und fast erfrischt aufwachte. Falls sie auch in dieser Nacht gehustet hatte, war der Husten nicht heftig genug gewesen, um sie zu wecken. Am linken Unterarm hatte sie eine gerötete Stelle, wo sie mit Giftefeu in Berührung gekommen war, aber Trisha erkannte rechtzeitig, woher die Rötung stammte, und klatschte Schlamm darauf. Sie breitete sich nicht weiter aus.
Die deutlichsten Erinnerungen hatte sie daran, wie sie unter aufgehäuften Zweigen lag und sich die Spiele der Red Sox anhörte, während über ihr kalt die Sterne strahlten. Sie gewannen zwei ihrer drei Spiele in Oakland, wobei Tom Gordon die beiden gewonnenen Spiele für die Sox entschied. Mo Vaughn schlug zwei Homeruns, und Troy O'Leary (nach Trishas unmaßgeblicher Meinung ein sehr niedlicher Baseballspieler) erzielte einen. Die Übertragungen erreichten sie über WEEI, und obwohl der Empfang jeden Abend etwas schlechter wurde, hielten die Batterien gut durch. Sie wußte noch, daß sie sich gesagt hatte, falls sie hier jemals rauskomme, müsse sie einen Dankesbrief an das Energizer-Häschen schreiben. Sie tat gewissenhaft ihren Teil, indem sie das Radio abstellte, wenn sie schläfrig wurde. Niemals, auch nicht am Freitag abend, als sie unter Schüttelfrost, Fieber und Durchfall litt, schlief Trisha bei laufendem Radio ein. Das Radio war ihre Rettungsleine, die Spiele waren ihr Rettungsring. Hätte sie sich nicht auf sie freuen können, hätte sie längst einfach aufgeben, vermutete sie.
Das Mädchen, das in die Wälder gegangen war (fast zehn und groß für sein Alter) hatte vierundvierzig Kilo gewogen. Das Mädchen, das sieben Tage später halb blind einen mit Kiefern bestandenen Hang hinauf und auf eine mit Büschen bewachsene Lichtung hinausstolperte, wog nicht mehr als fünfunddreißig Kilo. Trishas Gesicht war von Mückenstichen verschwollen, und im linken Mundwinkel war eine große Herpesblase entstanden. Ihre Arme waren Stöcke. Ohne es zu merken, zog sie ständig ihre jetzt viel zu weiten Jeans hoch. Sie murmelte leise den Text eines Songs vor sich hin - »Putyour arms around me ... cuz Igotta get next to you« - und sah wie eine der jüngsten Heroinabhängigen der Welt aus. Sie war erfinderisch gewesen, sie hatte Glück mit dem Wetter gehabt (mäßige Temperaturen, seit dem Tag, an dem sie sich verirrt hatte, kein Regen mehr), und sie hatte tief in ihrem Inneren völlig ungeahnte Kraftreserven entdeckt. Jetzt waren diese Reserven beinahe aufgebraucht, und darüber war Trisha sich mit irgendeinem Teil ihres erschöpften Verstands im klaren. Dieses Mädchen, das sich langsam und torkelnd über die Lichtung oberhalb des Kiefernhangs schleppte, war so gut wie erledigt. Obwohl in der Welt, die sie verlassen hatte, eine planlose Restsuche weiterging, wurde sie von den meisten, die nach ihr Ausschau hielten, jetzt für tot gehalten. Ihre Eltern hatten darüber zu sprechen begonnen - auf unbeholfene und weiter ungläubige Weise -, ob sie einen Gedenkgottesdienst abhalten lassen oder darauf warten sollten, daß die Leiche gefunden wurde. Und falls sie sich entschlossen zu warten - wie lange? Manchmal wurden die Leichen von Vermißten nie mehr gefunden. Pete sagte nicht viel;
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