Das Mädchen.
aber sie wußte, daß sie das tun mußte. Sie fand die Laubmulde, in der sie gewesen war, als sie die Schlange gesehen (und -o Gott! - gespürt) hatte: eine mädchenlange Mulde im Waldboden, die sich bereits mit Wasser füllte. Bei diesem Anblick rieb sie mit einer Hand erneut mutlos über die Vorderseite ihres Trikots - ganz feucht und schmutzig. Daß es feucht und schmutzig war, weil sie unter einem Baum hindurchgekrochen war, erschien ihr irgendwie als die bisher beunruhigendste Tatsache. Es machte deutlich, daß sich der ursprüngliche Plan geändert hatte - und wenn zu dem neuen Plan gehörte, daß man durch tropfnasse Tunnel unter umgestürzten Bäumen kroch, dann war das keine Wende zum Besseren.
Warum hatte sie den Weg überhaupt verlassen? Warum hatte sie ihn bloß aus den Augen gelassen? Nur um zu pinkeln? Um zu pinkeln, obwohl sie gar nicht so dringend gemußt hatte? Wenn das stimmte, mußte sie verrückt gewesen sein. Und dann hatte ein weiterer Wahn von ihr Besitz ergriffen, als sie geglaubt hatte, sie könne unbekümmert durch diese unkartierten (das war der Ausdruck, der ihr jetzt einfiel) Wälder spazieren. Nun, heute hatte sie etwas dazugelernt, das hatte sie in der Tat. Sie hatte gelernt, auf dem Weg zu bleiben. Unabhängig davon, ob man mußte oder wie dringend man mußte, unabhängig davon, wieviel Jatata-jatata man sich anhören mußte: Es war besser, auf dem Weg zu bleiben. Blieb man auf dem Wanderweg, behielt man ein sauberes und trockenes Red-Sox-Trikot. Dort gab es keine beunruhigende kleine Elritze, die im Hohlraum zwischen Brust und Bauch herumschwamm. Auf dem Wanderweg war man sicher. Sicher.
Trisha griff sich nach hinten ins Kreuz und ertastete ein gezacktes Loch in ihrem Trikot. Der Aststumpf hatte es also durchstoßen. Sie hatte gehofft, das sei nicht passiert. Und als sie ihre Hand 'zurückzog, sah sie kleine Blutflecken an den Fingerspitzen. Sie stieß einen seufzenden, schluchzenden Laut aus und wischte sich die Finger an ihren Jeans ab. »Keine Panik, wenigstens ist's kein rostiger Nagel gewesen«, sagte sie. »Denke an die guten Seiten.« Das war eine von Moms Redensarten, die ihr aber kein Trost war. Trisha hatte sich in ihrem ganzen Leben nie weniger gut gefühlt. Sie suchte den Baumstamm der Länge nach ab, fuhr sogar mit einem Schuh durchs Laub, aber die Schlange blieb verschwunden. Wahrscheinlich hatte sie ohnehin nicht zu den giftigen gehört, aber Gott, sie waren so gräßlich. Wie sie sich so ohne Beine dahinschlängelten und dabei ständig mit ihren häßlichen Zungen züngelten. Sie konnte es auch jetzt noch kaum ertragen, daran zu denken wie das Tier einem kalten Muskel gleich unter ihrer Handfläche gezuckt hatte.
Warum habe ich keine Stiefel angezogen? dachte Trisha und blickte auf ihre niedrigen Reeboks hinunter. Warum bin ich hier mit einem verdammten Paar Turnschuhen unterwegs? Die Antwort lautete natürlich: Weil Turnschuhe für den Wanderweg ausgereicht hätten ... und laut Plan hätte sie auf dem Weg bleiben sollen.
Trisha schloß kurz die Augen. »Trotzdem ist alles okay«, sagte sie sich. »Ich muß nur kühlen Kopf bewahren und darf nicht durchdrehen. Außerdem höre ich dort drüben bestimmt gleich wieder Leute.«
Diesmal überzeugte ihre eigene Stimme sie ein bißchen, und sie fühlte sich besser. Sie drehte sich um, stellte sich breitbeinig über die schwarze Mulde, in der sie gelegen hatte, und lehnte ihren Po an den bemoosten Baumstamm. Dort, genau voraus, war der Hauptweg. Todsicher. Vielleicht. Und vielleicht sollte ich lieber hier warten. Auf Stimmen warten. Damit ich weiß, daß ich in die richtige Richtung unterwegs bin.
Aber sie konnte es nicht ertragen, zu warten. Sie wollte auf den Wanderweg zurück und diese angsterfüllten zehn Minuten (oder vielleicht waren es schon fünfzehn) möglichst schnell hinter sich lassen. Deshalb nahm sie ihren Rucksack wieder über die Schultern - diesmal war kein zorniger, verstörter, aber im Grunde genommen doch netter großer Bruder da, um ihr die Tragriemen einzustellen - und brach wieder auf. Die Gnitzen und die winzigen Stechfliegen hatten sie jetzt gefunden und surrten so zahlreich um ihren Kopf, daß sie glaubte, in ihrem Blickfeld tanzten schwarze Punkte. Sie verscheuchte sie durch Wedeln mit der Hand, ohne sie zu erschlagen. Mücken erschlägt man, aber die kleinen wedelt man lieber bloß weg, hatte ihre Mom ihr erklärt ... vielleicht an dem gleichen Tag, an dem sie Trisha beigebracht hatte, wie
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