Das Maedchengrab
Schlafkammer treten und ihnen winken.«
Doch wieder musste Ulla das um fünf Jahre jüngere Mädchen enttäuschen. »Damit wäre zwar die Wahrscheinlichkeit nicht groß, euch an der Krankheit anzustecken. Doch trotzdem solltet ihr das nicht tun. Es würden euch bloß die Herzen schwer werden, wenn ihr eure Eltern in dem hohen Fieber seht.«
»Aber wir haben sie doch schon so gesehen, als du dort warst und uns von ihnen weggebracht hast. Geht es ihnen denn inzwischen noch schlechter?«
Ulla sah Fine ernst an und nickte. »So ist es wohl, nach allem, was die Frauen im Dorf mir zutragen. Vertraue deren Urteil. Und sobald eure Eltern wieder bei Kräften sind, dürft ihr ihnen einen Besuch abstatten. Wenn auch anfangs nur durch das Fenster.«
Fine wurde noch ängstlicher zumute. Zaghaft brachte sie hervor: »Basti und ich, wir möchten doch so gern etwas tun für unsere Eltern.«
Da nahm Ulla das Mädchen fest in den Arm und sprach ihm gut zu. »Ihr könnt doch etwas tun. Ihr könnt hoffen und beten, dass es Vater und Mutter bald besser gehen möge. Das wird euch Kraft geben, diese schweren Tage zu überstehen.«
Fine nickte und bekräftigte, dass sie nicht aufhören wolle, daran zu glauben, dass es den Eltern bald besser gehe. Mit Fleiß und Eifer erledigte sie kleine Arbeiten in Haus und Hof, mit denen die Mägde sie beauftragten. Und auch in der Schule gab sie sich alle Mühe, dem Lehrer zu folgen.
Am dritten Tag, den Fine und Basti von den Eltern getrennt waren, klopfte jemand gegen die Tür des Schulraums. Es war der Oberlandbauer. Kurz besprach er sich mit dem Lehrer, dann ließ er die beiden zu sich kommen.
Mit großem Ernst sagte er: »Ich bringe euch eine traurige Nachricht. Eure Eltern sind heute Morgen gestorben. Es war Gottes Wille, sie zu sich zurückzunehmen in sein Reich, wo sie nun nicht mehr leiden müssen.« Er legte den Kindern tröstend eine Hand auf die Schulter und nahm sie im Fuhrwerk mit auf seinen Hof, wo Ulla ihnen eine stärkende Suppe reichte.
Alles ging so schnell. Fine und Basti verstanden lange nicht, was geschehen war. Die Mägde und Knechte hatten manch gutes Wort für die Kinder. Doch immer, wenn sie diese Tröstungen erfuhren, konnten sie nur stumm nicken, so fremd war es ihnen.
Schließlich fragte Fine, ob sie ihre Eltern noch einmal sehen dürften. Doch auch das musste ihnen leider verwehrt bleiben.
»Eure Eltern litten an Tuberkulose und Stickfluss der Lungen«, erklärte die Oberlandbäuerin. »Wir wollen weiterhin sicher sein, dass ihr euch nicht ansteckt. Behaltet sie in Erinnerung als die gottgefälligen und liebevollen Menschen, die sie waren. Damit tut ihr ihnen die größte Ehre.«
Wieder nickte Fine, aber noch immer nicht begriff sie die Vorgänge um sich herum. So gut sie konnte, versuchte sie ihrem kleinen Bruder zu erklären, was geschah.
Im Dorf bereitete man die Trauerfeier vor. Der Köhlmattes räucherte die Schlafkammer von Franz und Wilhelmine Aldenhoven zur Vernichtung der Krankheitskeime mit Wacholderholz aus. Derweil tagte der Gemeinderat, um die Angelegenheiten der Kinder zu regeln. Das Haus des Hauerfranz musste der Hypothekengläubiger wieder an sich ziehen. Die Anzahlung, die der Verstorbene darauf geleistet hatte, ging verloren. Durch die zahllosen Auswanderungen nach Amerika war der Häuserwert in der Eifel beispiellos gesunken. Es standen viele Gebäude im Dorfe leer, und auch das Haus des Hauerfranz würde unbewohnt bleiben. Alle bewegliche Habe sollte verkauft und daraus ein kleines Erbe für die Kinder erlöst werden. Aber auch das würde bei Weitem nicht reichen, das Kostgeld für sie zu erschwingen. Da Fine und Basti nun einmal Kinder der Gemeinde waren, musste die Steuerkasse für sie sorgen. Die Männer des Rates beschlossen, sie bei denjenigen Dorfbewohnern unterzubringen, die das geringste Kostgeld nahmen.
Am dritten Tage nach dem Tod von Franz und Wilhelmine Aldenhoven fand die Beerdigung statt. Von den Nachbarn hörte man lautes Weinen, sie rühmten die Verstorbenen. Die Oberlandbäuerin führte die Kinder an der Hand, als sie hinter den Särgen ihrer Eltern gingen. Noch am Grabe verhielten sich Fine und Basti still und fast heiter. Jedermann war überaus freundlich zu ihnen. Und als sie bei der nachfolgenden Feier vom Tisch aufstanden, bekamen sie noch kleine Kuchen in ein Papier gewickelt. Die durften sie mitnehmen.
Doch ihre Freude über die Süßigkeit sollte nicht lange währen. Der Oberlandbauer als Vormund nahm die Kinder zur
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