Das Magdalena-Evangelium: Roman
darüber zu sprechen, und allen erzählt, die wunderbare Genesung seines Jungen sei der Wille der römischen Götter gewesen.« Salome verzog vor Widerwillen das Gesicht. »Die arme Claudia brannte darauf, es jemandem zu erzählen, und sie wusste ja, dass ich einst zu den Nazarenern gehört habe.«
»Du gehörst immer noch zu den Nazarenern«, sagte Maria sanft, während sie aufstand, um dem Baby in ihrem Bauch Erleichterung zu verschaffen. Dies war eine wichtige Neuigkeit, über die sie eingehender nachdenken musste. Es war berauschend, aber sie wagte nicht, zu viel hineinzulegen. Sicherlich war solch ein Vorkommnis Teil des göttlichen Plans. Hatte Gott das Kind des römischen Statthalters erkranken lassen, damit Isa es heilen konnte? Und falls Isas Schicksal am Ende in den Händen von Pontius Pilatus liegen sollte, konnte dieser den Mann verurteilen, der sein eigenes Kind geheilt hatte?
»Aber das ist noch nicht alles, Schwester.« Wieder verdüsterte sich Salomes Miene. »Als ich dort war, kamen auch dieser furchtbare Jonathan Hannas und sein Schwiegersohn zu Pilatus und meinem Stiefvater. Sie wollen Isa den Prozess machen.« Sie warf Maria ein schlaues Lächeln zu. »Ich habe gehört, wie ein Diener ihr Kommen ankündigte, und habe Claudia gebeten,mir ein Versteck zu zeigen, damit ich unbemerkt lauschen konnte.«
Maria lächelte über Salome, die so impulsiv war wie immer.
»Pilatus wollte nichts davon hören und versuchte, die Sache als unwichtig abzutun, damit er die Besprechung mit Herodes fortsetzen konnte. Ihm geht es nur darum, dass er in den Berichten an Rom als fähiger Statthalter dasteht. Er strebt nämlich nach einem Posten in Ägypten.«
Maria lauschte geduldig, doch mit pochendem Herzen, während Salome fortfuhr. »Aber mein Stiefvater – selbstgerecht wie alle Herrscher, die den Namen Herodes tragen – hat sich auf die Seite dieser schwachsinnigen Priester geschlagen! Sie haben ihm eingeredet, dass Isa sich selbst König der Juden nennen und das Geschlecht Herodes vom Thron verdrängen wolle.«
Maria schüttelte nur ungläubig den Kopf. Das war natürlich Unsinn: Isa hatte keinerlei Ambitionen auf einen irdischen Thron. Er war König in den Herzen der Menschen, er wollte ihnen das Reich Gottes bringen. Dafür brauchte er weder Palast noch Thron. Aber ein unsicherer Herodes fühlte sich nun bedroht, weil Hannas und Kaiphas ihm so etwas eingeredet hatten.
»Kurz danach hörte ich Pilatus bei Claudia eintreten – mich sah er nicht, weil ich versteckt war – und sagen: ›Meine Liebe, ich fürchte, das Schicksal ist gegen deinen Isa, den Nazarener. Die Priester fordern seinen Kopf und wollen ihn noch vor dem Paschafest verhaftet sehen.‹ Darauf hörte ich Claudia sagen: ›Aber du wirst doch dafür sorgen, dass er verschont wird.‹ Pilatus aber schwieg, und Claudia fragte: ›Das wirst du doch, nicht wahr?‹ Doch die Antwort war Schweigen, und dann verließ Pilatus das Gemach. Als ich sicher war, dass er fort war, kam ich aus meinem Versteck hervor. Claudia war in einem furchtbaren Zustand. Sie sagte, ihr Mann habe ihr beim Hinausgehen nicht in die Augen sehen können. O Maria, sie macht sich Sorgen, was mit Isa geschehen könnte! Und auch ich habe solche Angst. Du musst dafür sorgen, dass er Jerusalem verlässt.«
»Weiß dein Stiefvater, wo du dich jetzt aufhältst?«
Salome zuckte die Achseln. »Ich habe ihm gesagt, ich würde Seide einkaufen gehen. Er ist zu sehr mit seiner Reise nach Rom beschäftigt, als dass es ihn kümmert, wo ich die Nacht verbringe. Er hat seine eigenen Zerstreuungen in Jerusalem.«
Maria hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie musste warten, bis Isa abends heimkehrte, dann würde sie ihm alles erzählen. Sie wusste, dass Salome nicht erst überzeugt zu werden brauchte, damit sie blieb und weitere Einzelheiten beisteuerte.
Salome blieb tatsächlich und war hoch erfreut, als am Spätnachmittag die Hohe Maria eintraf. Für Salome war es eine Ehre, mit dieser weisen Frau zusammen zu sein, der mächtigen, wenn auch zurückhaltenden Lehrerin der Nazarener-Bewegung. Doch ihre Freude sollte nur von kurzer Dauer sein, wie auch die Maria Magdalenas.
»Ich habe eine große Dunkelheit am Horizont heraufziehen sehen, meine Töchter«, sprach die Hohe Maria zu ihnen. »Ich bin gekommen, um meinen Sohn zu sehen. Wir müssen auf die große Prüfung unserer Stärke und unseres Glaubens vorbereitet sein, die uns an diesem Paschafest erwartet.«
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