Das Magdalena-Evangelium: Roman
sie erinnerten Maureen an die Blumenarrangements, die Sinclair ihr in Los Angeles geschickt hatte.
»Daran kann sich ein Mädchen schon gewöhnen«, sagte sie zu sich selbst, als die Diener an der Tür klopften und ihr Gepäck hereinbrachten.
Peters Zimmer war kleiner als Maureens, aber ebenso reich geschmückt und eines Königs würdig. Sein Koffer war noch nicht eingetroffen, aber er hatte seine Reisetasche, und das reichte im Moment. Er holte seine in Leder gebundene Bibel heraus sowie den Rosenkranz mit den Kristallperlen.
Peter umklammerte die Perlen und ließ sich aufs Bett fallen. Er war müde – ausgelaugt von der Reise und erschöpft von der großen Verantwortung, die er für Maureens Wohlergehen empfand, körperlich wie auch geistig. Nun befand er sich auf unbekanntem Territorium, und das machte ihn nervös. Er traute Sinclair nicht. Schlimmer noch: Er traute der Reaktion seiner Cousine auf Sinclair nicht. Das Geld und das Auftreten des Mannes erzeugten offensichtlich eine Strahlkraft, der sich eine Frau kaum entziehen konnte.
Wenigstens wusste er, dass Maureen keine Frau war, die sich leicht rumkriegen ließ. Tatsächlich wusste Peter nur von sehr wenigen Männern, mit denen sie je eine Beziehung gehabt hatte. Maureens Romantik hatte arg unter dem Hass ihrer Mutter auf ihren Vater gelitten. Dass die giftige Ehe ihrer Eltern in einerTragödie geendet hatte, reichte Maureen als Grund, sich von allem fernzuhalten, was einer Beziehung auch nur ähnelte.
Aber sie war noch immer Frau und Mensch, und wenn es ihre Visionen betraf, war sie zudem leicht verwundbar. Peter war entschlossen, dafür zu sorgen, dass Sinclair das nicht ausnutzen konnte, um Maureen zu manipulieren. Er war nicht sicher, wie viel Sinclair bereits wusste – oder woher er das wusste –, aber er war fest entschlossen, es so bald wie möglich herauszufinden.
Peter schloss die Augen und betete um geistigen Beistand, doch seine stummen Gebete wurden von einem hartnäckigen Brummen unterbrochen. Zuerst versuchte er, die Vibration zu ignorieren, doch dann gab er auf. Er durchquerte den Raum zu seiner Reisetasche, griff hinein und beantwortete den Anruf auf seinem Handy.
Dankenswerterweise lag Peters Zimmer auf demselben Gang wie Maureens; ansonsten hätten sie einander in dem riesigen Sinclair-Schloss wohl nicht gefunden. Maureen war von dem Haus wie verzaubert. Sie sog alles in sich auf, während sie von einem Flügel in den anderen gingen, jedes Detail der Kunstwerke und der Architektur.
Schließlich beschlossen sie, sich das Äußere des Châteaus etwas genauer anzusehen, da ihnen noch ein paar Stunden bis zum Diner blieben. Außerdem waren sie beide viel zu sehr von ihrer Umgebung fasziniert, als dass sie sie unerkundet hätten lassen können. Sie betraten einen breiten Gang, der von natürlichem Licht erhellt wurde, das durch große Bleiglasfenster fiel. Ein riesiges und ungewöhnliches Wandgemälde zierte fast die gesamte Länge des Gangs; es zeigte eine leicht abstrakte Kreuzigungsszene.
Maureen blieb stehen, um das Werk zu bewundern. Neben dem gekreuzigten Christus hielt eine Frau mit rotem Schleierdrei Finger in die Höhe, während ihr eine Träne über die Wange rann. Sie stand neben einer Wasserfläche – einem Fluss? –, aus dem drei Fische, einer rot, zwei blau, in die Luft sprangen. Sowohl die drei Fische als auch die drei erhobenen Finger der Frau spiegelten auf abstrakte Art das Lilienmuster wider.
Es gab schier unzählige Details in dem kunstvollen und offensichtlich modernen Werk. Maureen war sicher, dass das alles irgendetwas symbolisierte, doch es würde Stunden dauern, es sich genauer anzusehen – und vermutlich Jahre, es zu verstehen.
Peter trat einen Schritt zurück, um sich die Kreuzigungsszene als Ganzes anzusehen. In ihrer Einfachheit war sie wunderschön. Der Himmel über dem Kreuz wurde von einer offenbar schwarzen Sonne in Dunkelheit getaucht, und ein Blitz zerriss die Wolken.
»Das erinnert an den Stil Picassos, was meinst du?«, bemerkte Peter.
Ihr Gastgeber erschien am anderen Ende des Gangs. »Das ist von Jean Cocteau, Frankreichs produktivstem Künstler und einer meiner persönlichen Helden. Er hat es gemalt, als er bei meinem Großvater zu Gast gewesen ist.«
Maureen war verblüfft. »Cocteau war hier zu Besuch? Dieses Haus muss ja ein französischer Nationalschatz sein. All diese Kunstwerke … Das ist einfach phänomenal. Das Bild in meinem Zimmer …«
»Der Ribera? Das ist mein
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