Das Magdalena-Evangelium: Roman
das durch die Gänge hallte. Als sie sich dem Eingang des Ballsaals näherten, erhielten sie einen ersten Eindruck von Sinclairs kunst- und prachtvollem Fest.
Maureen hatte das Gefühl, als wäre sie in eine andere Zeit versetzt worden. Der riesige Ballsaal war mit Samtbehängen verziert worden, und Tausende von Blumen und Kerzen schmückten die Nischen. Kostümierte Diener bewegten sich leise und unauffällig durch den Raum, versorgten die Gäste mit Speisen und Getränken und wischten diskret den unbändigsten Feiernden hinterher.
Doch es waren die Gäste selbst, die das Kleinod in diesem luxuriösen Schmuckkästchen darstellten. Ihre Kostüme waren ausgefeilt und extravagant, zeitgenössische Kleidung aus verschiedenen Epochen der französischen und okzitanischen Geschichte oder aber an den Mysterientraditionen orientierte Gewänder. Eine Einladung zu Sinclairs Event war in der gesamten esoterischen Elite der Welt begehrt, und die glücklichen Empfänger solch einer Einladung scheuten keine Kosten und Mühen, in einer angemessenen Gewandung zu erscheinen. Es gab je einen Wettbewerb für das originalgetreueste Kostüm, das schönste und das humorvollste. Sinclair war das einzige Jurymitglied, und oft waren die Preise ein kleines Vermögen wert – und wichtiger noch: Ein Sieg in einer der Kategorien garantierte eine Einladung zum Ball im nächsten Jahr.
Das Lachen und das leise Klirren der Kristallweingläser verstummteaugenblicklich, als Maureen und Peter den Raum betraten.
Ein livrierter Mann mit einer Trompete blies eine Fanfare, als Roland in einer schlichten weißen Kutte vortrat und ihre Ankunft verkündete. Maureen war überrascht, dass Roland an diesem Abend mehr wie ein Gast als wie ein Angestellter gekleidet war, doch sie hatte nur wenig Zeit, darüber nachzudenken, da sie fast augenblicklich durch den Eingang geschoben wurde.
»Es ist mein Privileg, Ihnen unsere verehrten Gäste vorzustellen: Mademoiselle Maureen de Paschal und Abbé Peter Healy.«
Die Menge stand erstarrt wie Wachsfiguren. Rasch winkte Roland dem Orchester weiterzuspielen, um den peinlichen Moment zu überbrücken. Dann streckte er den Arm nach Maureen aus und geleitete sie in den Ballsaal hinein. Noch immer starrten die Leute sie offenen Mundes an, aber nicht mehr so penetrant. Jene, die sich besser zu benehmen wussten, verbargen ihren Schock hinter vorgetäuschtem Desinteresse.
»Kümmern Sie sich nicht um sie, Mademoiselle. Sie sind ein neues Gesicht und damit ein neues Mysterium, das es zu ergründen gilt. Aber nun«, sagte Roland, »werden sie Sie rasch akzeptieren. Ihnen bleibt auch keine andere Wahl.«
Maureen hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, was Roland damit meinte, so schnell führte er sie auf die Tanzfläche, während Peter zurückblieb und sie mit wachsendem Interesse beobachtete.
»Reenie!« Tamara Wisdoms amerikanischer Akzent wirkte in dieser europäischen Umgebung ausgesprochen unpassend und hob sich dementsprechend von ihrer Umgebung ab. Sie flog über den Tanzboden, wo Maureen gerade ihren Tanz mit Roland beendet hatte. Tammy sah in ihrem Zigeunerkostüm wild undexotisch aus. Ihr Haar war diesmal rabenschwarz gefärbt und hing ihr bis über die Hüfte. Goldkettchen bedeckten ihre Arme. Roland zwinkerte Tamara zu – fast schon kokett, wie Maureen bemerkte –, bevor er sich vor Maureen verneigte und sich entschuldigte.
Maureen umarmte Tammy. Sie war froh, in diesem zunehmend fremden Land ein weiteres vertrautes Gesicht zu sehen. »Du siehst fantastisch aus! Als was bist du verkleidet?«
Tammy drehte sich graziös im Kreis und ließ ihr ebenholzfarbenes Haar fliegen. »Als Sarah die Ägypterin, die man auch die Zigeunerkönigin nennt. Sie war Maria Magdalenas Zofe.«
Tammy strich mit dem Finger über den Taft von Maureens Rock. »Und wer du bist, muss ich ja wohl nicht fragen. Hat Berry dir das gegeben?«
»Berry?«
Tammy lachte. »So wird Sinclair von seinen Freunden genannt.«
»Ich habe ja gar nicht gewusst, dass ihr beide euch so nahe steht.« Maureen hoffte, dass die Enttäuschung ihrer Stimme nicht allzu sehr anzumerken war.
Tammy hatte keine Gelegenheit, darauf zu antworten. Sie wurden von einer jungen Frau, gerade erst dem Teenageralter entwachsen, unterbrochen, die ein schlichtes Katharergewand trug. Das Mädchen hielt eine einzelne Callalilie in der Hand und gab sie Maureen.
»Marie de Nègre« , sagte sie, verneigte sich dann tief und huschte davon.
Auf der Suche nach einer
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