Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
durchaus eine Frau sein, die den Ambitionen seiner Familie und des Ordens förderlich war.
»Dieses Mädchen, das Ihr mir ausgesucht habt, ist ganz in meinem Sinn«, antwortete er daher gefasst. »Tut, was immer Ihr tun müsst, um die Angelegenheit offiziell zu machen. Doch eines sage ich Euch: Ich werde nicht mit ihr vor den Altar treten. Niemals werde ich vor Gott stehen und einer anderen Frau als Colombina Hingabe und Treue schwören. Verheiratet mich durch einen Stellvertreter. Gebt ein rauschendes Fest oder was auch immer, um diese römische Familie zu besänftigen und ihr Ehre zu erweisen, aber zwingt mich nicht dazu, das Ehegelübde zu leisten. Sagt den Orsini, ich sei zu beschäftigt mit Staatsangelegenheiten,um beim Eheschwur anwesend zu sein. Es liege daran, dass Vater jetzt so schrecklich krank ist. Das werden sie bestimmt verstehen.«
Madonna Lucrezia hütete sich, Lorenzo weiter zuzusetzen. Er hatte die elterliche Wahl seiner Braut akzeptiert, und das war der einzige Zweck des Gesprächs gewesen. Lucrezia hatte erreicht, was sie für den zukünftigen Ruhm der Medici brauchte.
»Natürlich werden sie das verstehen, mein Sohn. Ich treffe sogleich die nötigen Vorbereitungen.«
Nach einer langen, schlaflosen Nacht suchte Lorenzo am nächsten Morgen Angelo auf. Sandro arbeitete in dieser Woche in Verrocchios Atelier an wichtigen Aufträgen; deshalb musste Angelo für ihn der Anker sein, um den Sturm zu überstehen. Lorenzo und der kleine Dichter aus Montepulciano waren unzertrennliche Freunde geworden. Angelo war so freundlich wie klug, so treu ergeben wie schüchtern. Er hing an Lorenzo. In Angelo hatte er mehr als einen neuen Vertrauten gefunden; der Jüngere war ebenfalls Dichter und so talentiert und feinfühlig, dass er Lorenzos Dichtkunst zu neuen Höhen trieb.
Das zweite große Leid in Lorenzos Leben war, dass er nicht genug Zeit für die Poesie hatte. Er war außerordentlich begabt, und wenn er seine Gedichte beim hochrangigen Florentiner Dichterwettbewerb vorlegte, wurde er stets lobend erwähnt. Lorenzo reichte seine Gedichte stets unter falschem Namen ein, damit die Veranstalter ihm nicht eine Medaille anhefteten, weil er ein Medici war. Er wollte, dass seine Gedichte um ihrer selbst willen beurteilt wurden. Und jedes Mal kamen die Preisrichter zu dem gleichen Ergebnis: dass Lorenzo ein außerordentlich begabter junger Dichter sei.
Nachdem jedoch Angiolo Ambrogini – so sein wirklicher Name – in Florenz erschienen war, konnte keiner der hiesigen
Poeten ihn im Hinblick auf Ausdruck oder lyrische Sprache übertrumpfen. Lorenzo war kein bisschen neidisch auf ihn – im Gegenteil. Er war es gewesen, der die Fähigkeiten seines Freundes gefördert und ihn unterstützt hatte, damit er schreiben konnte. Angiolo war als Dichter so rasch berühmt geworden, dass er nun in ganz Florenz unter einem neuen Namen bekannt war. Es war eine Tradition, die begabtesten Künstler mit einem Künstlernamen zu würdigen, der aus dem Vornamen und einer Anspielung auf den Geburtsort bestand. So wurde »Angelo Poliziano« geboren, was »Angelo aus Montepulciano« bedeutete.
Lorenzo traf Angelo in dem studiolo an, das er ihm im Palazzo an der Via Larga eingerichtet hatte. Der Dichter arbeitete an einer Übersetzung aus dem Griechischen.
»Angelo, es quält mich. Ich soll ein unansehnliches römisches Mädchen heiraten, das obendrein völlig ungebildet ist. Was soll ich nur tun?«
Angelo lächelte den Freund an. »Nutze deinen Schmerz für deine Gedichte, das haben alle großen Dichter der Vergangenheit getan.«
»Ich habe es versucht. Deswegen habe ich die ganze letzte Nacht wach gelegen. Aber ich kann nicht beurteilen, ob mein Gedicht etwas taugt oder nur von Selbstmitleid handelt.«
»Das ist die Schönheit der Gabe, die uns verliehen wurde, Lorenzo, der Zweck unserer Kunst: unsere Gefühle durch Poesie auszudrücken. Selbst wenn das Gedicht nichts taugt, so hat es immerhin dazu gedient, dass du die Nacht überstehen konntest. Und wäre es nicht fade, würde der einzige Grund, Gedichte zu schreiben, darin bestehen, den Frühling zu preisen? Die Blumen und die Vögel, die Sonne und den Regenbogen? Das sind alles schöne Dinge, gewiss, aber keine Kunst, solange sie nicht einen Gegenpol haben. Lass doch diese neue Frau aus Rom dein Gegenpol sein. Wie heißt sie?«
Lorenzo stutzte und dachte nach. Kopfschüttelnd antwortete er: »Ich weiß es nicht. Hab nicht gefragt.« Er stöhnte laut. »Weilsie mir
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