Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
nicht gehen! Ihr werdet mich und meine Familie mit Schande bedecken.« Jetzt kreischte sie. »Morgen kommen sie, um die Laken zu begutachten, und es wird kein Blut darauf zu sehen sein. Dann wird Eure Familie glauben, ich hätte meine Pflicht nicht erfüllt, oder … Schlimmeres. Ihr müsst bei mir bleiben, und ich … ich muss es tun.«
Lorenzo warf einen verlangenden Blick zur Tür; dann schaute er wieder auf die verängstigte Jungfrau in seinem Bett. Im Buch der Liebe stand geschrieben, die Empfängnis eines Kindes in einem Brautgemach, in dem weder Vertrauen noch Bewusstheit herrschten, könne das Kind zu einem beschwerlichen Leben verurteilen.Lorenzo konnte nicht zulassen, dass ein solcher Fluch seine Kinder traf. Irgendwie musste er diese Frau erreichen, die das Schicksal ihm als Ehefrau zugeteilt hatte, um auf irgendeine Weise Gottes unbestimmbaren Willen zu erfüllen.
Er holte tief Luft; dann wandte er sich ihr endgültig zu, kniete neben dem Bett nieder und nahm ihre Hand. »Clarice, du musst mir als Mann und als Ehemann vertrauen. Ich werde dir niemals wehtun, und ich habe geschworen, dich zu beschützen. Das alles will ich gerne tun und noch viel mehr. Du bist jetzt eine Medici, du gehörst zu meiner Familie. Jedes Kind, das wir bekommen, werde ich von ganzem Herzen lieben. Und du als seine Mutter ebenfalls. Das gelobe ich dir.«
Clarices braune Augen standen voller Tränen, doch ihre Miene war sanfter geworden.
»Schau mich an, Clarice. Schwöre mir, dass du lernen wirst, mir als deinem Ehemann zu vertrauen.« Lorenzo lächelte. Vorsichtig streckte er die Hand aus und streichelte ihre Wange, wischte mit dem Daumen die Tränen fort.
Clarice versuchte, sein Lächeln zu erwidern. »Ich … vertraue dir, mein Gemahl.« Und sie nahm seine andere Hand und drückte sie mit aller Kraft, gab sich erkennbar Mühe, ihre Furcht zu vertreiben.
Lorenzo näherte sich ihr voller Zärtlichkeit und unendlicher Geduld, bemüht, ihr nicht wehzutun oder sie zu ängstigen, während er betete, dass es in Zukunft besser werden möge. Er wusste, dass es sie beinahe zerreißen würde, wenn er in sie eindrang, dass Blut fließen und die Laken färben würde, die man am nächsten Morgen eingehend betrachten würde. Er war so sanft, wie er nur konnte, aber diesen Schmerz konnte er ihr nicht ersparen. Clarice zuckte zusammen und drehte den Kopf weg; dann lag sie ganz still und hielt die Augen fest geschlossen. Um ihrer beider willen zog Lorenzo sich rasch zurück. Er war gerade lange genug in ihr gewesen, um der Pflicht des ehelichen Vollzugs zu genügen, und er war ebenso entsetzt über die Situation wie seine junge Frau.Bevor er sich verabschiedete, fragte er Clarice sanft, ob es ihr gut gehe. Sie nickte stumm, wobei sie ein Schluchzen unterdrückte, denn das, was gerade geschehen war, war furchtbar unanständig gewesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie eine Frau so etwas erträglich finden konnte. Ihr Beichtvater hatte recht gehabt: Es war das Los des Weibes, zu leiden.
Lorenzo seufzte tief, zog seine Hose hoch und verließ das Gemach, ohne zurückzuschauen oder ein Wort zu sagen.
Allein im Hochzeitsbett, erlaubte sich die junge Frau, die nun Clarice Orsini de’ Medici war, Gemahlin des prächtigsten Mannes in ganz Italien, noch einen letzten Gedanken, bevor sie sich in den Schlaf weinte: Nicht ein einziges Mal hatte ihr Ehemann versucht, sie zu küssen.
Lorenzo hatte darauf bestanden, dass Colombina die Nacht nach dem Hochzeitsbankett im Palazzo Medici verbrachte. Sie hatte Bedenken geäußert, wollte nicht in dem Haus sein, in dem er gezwungen sein würde, mit einer anderen zu schlafen, die nun alles das war, was Colombina für ihn hatte sein wollen. Doch Lorenzo hatte so lange gefleht, bis sie nachgegeben hatte – wie immer, wenn er hartnäckig war. Nach dem Albtraum mit Clarice lenkte Lorenzo unverzüglich seine Schritte zu dem Gästegemach, in dem Colombina untergebracht war. Dort angekommen, warf er sich voller grimmiger Verzweiflung in die Arme der einzigen Frau, die er je lieben würde. Ihre ebenso große Leidenschaft verhalf ihm zu neuer Kraft.
»Meine Colombina«, flüsterte er, während er ihren Hals küsste und sich in ihrem üppigen Haar verlor. Lorenzo begann aus ihrer heiligen Schrift, dem Hohelied, zu rezitieren, flüsterte seiner Liebsten die Worte ins Ohr. Er brauchte den Trost, den ihm die Überlieferung spendete, die einzige Flucht, die er vor der Last seiner Verantwortung fand. Sein Mund
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