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Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Titel: Das Magdalena-Vermächtnis: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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Fingern an den Rändern des Blattes entlang … und zuckte zusammen, als er sich schnitt. Blut quoll hervor. Er sog an dem verletzten Finger, um die Blutung zu stoppen. In diesem Augenblick traf ihn die Erkenntnis.
    »Alle diese Figuren scheinen Angst zu haben. Das ist es! Es ist der heiligste Augenblick der Geschichte, die Geburt unseres Herrn Jesus Christus, und doch hast du allen Zeugen dieses Ereignisses Angst in die Gesichter gemalt!«
    Leonardo schwieg einen Moment; dann antwortete er: »Ich sehe es nicht als Angst. Für mich ist es Ehrfurcht.«
    Lorenzo dachte eine Weile darüber nach. »Ehrfurcht? Aber schau dir doch nur diese Figur hier an, den König Balthasar.« Er deutete mit dem Finger darauf. »Er kauert vor dem Jesuskind. Das ist Angst, keine Ehrfurcht. Und diese Gestalt hier, über dem heiligen Kind, scheint vor ihm zurückzuschrecken, als würde sie sich fürchten. Nein, mein Freund, dein Bild gibt mir nicht das Gefühl, dass die Geburt unseres Herrn ein Anlass zur Freude ist.«
    Leonardo hob leicht die Schultern, wobei sein Mund ein wenig zuckte. Zum ersten Mal achtete er nicht mehr auf sein Benehmen.Vielleicht war es Lorenzos aufrichtige Einschätzung seines Werkes, das ihn zu diesem Ausrutscher verleitete, aber ein Ausrutscher war es zweifellos. Als Leonardo antwortete, klang seine Stimme sanft, aber bestimmt, obwohl er Lorenzo nicht in die Augen blicken konnte.
    »Vielleicht glaubt nicht jeder, dass die Geburt Jesu ein Anlass zur Freude ist. Vielleicht war sie für einige ein Ereignis, das sie fürchten oder gar verachten mussten. Wenn Kunst Wahrheit sein soll, muss ich Jesu Geburt auf diese Weise darstellen.«
    Entsetzt schrak Lorenzo vor dieser scharfen, ketzerischen Äußerung zurück. Er schaute zu Fra Francesco, der beharrlich schwieg; er war nur Beobachter eines Dramas, das sich vor seinen Augen in der bottega des Andrea del Verrocchio abspielte.
    »Du glaubst also nicht, dass die Geburt des Herrn ein Anlass zur Freude war, Leonardo?«, fragte Lorenzo mit betont gleichmütiger Stimme. Er wollte eine ehrliche Antwort, keine gefühlsmäßige Reaktion.
    »Es spielt keine Rolle, was ich glaube, Magnifico. Wenn Ihr mein Mäzen seid und Figuren sehen möchtet, die sich über die Geburt Jesu freuen, dann ist es meine Aufgabe, Euch zufriedenzustellen. Ich kann Euch versichern, wenn diese Bilder erst Farbe bekommen, werde ich den Ausdruck der Figuren anpassen, damit Ihr bekommt, was Ihr wollt.«
    Es war eine behutsame Antwort und eine glänzende dazu. Leonardo hatte nicht gesagt, woran er glaubte. Geschickt hatte er eine dahingehende Aussage umgangen und stattdessen genau das erwidert, was einem Mäzen gefallen musste.
    Lorenzo lächelte und dankte ihm, versicherte Leonardo erneut, dass er ein vollendeter Künstler sei und dass er, Lorenzo, sich schon auf die Werke freue, die er schaffen werde. Dann ging er zu Andrea und trug ihm auf, sich mit dem Meister am späten Nachmittag zum Mahl in der Via Larga einzufinden, wo sie die Angelegenheit besprechen würden, die er mittlerweile das »Leonardo-Problem« nannte.

    Andrea del Verrocchio war der Familie Medici drei Generationen lang bedingungslos ergeben gewesen, doch er hatte nicht die Absicht, den besten Skizzenmaler, der je in seiner Werkstatt gelernt hatte, kampflos aufzugeben.
    »Leonardo ist ein seltenes Talent, Lorenzo. Er ist ein Genie.«
    »Dessen bin ich mir bewusst. Ich habe Augen im Kopf, Andrea. Und ich habe gute Ohren. Aber hast du nicht gehört, was er sagte? Dass man die Geburt unseres Herrn Jesus fürchten und verachten müsse? Er mag vielleicht ein Genie sein, aber leider ist er nicht unser Genie.«
    »Gebt mir mehr Zeit, ihn zu formen. Wir arbeiten sehr gut zusammen. Vielleicht kann er wieder zu sich gebracht werden …«
    »Man kann einen Mann nicht zu dem machen, was er nicht ist.« Matt lächelte Lorenzo dem Künstler zu, den er liebte und dem er bedingungslos vertraute. »Selbst du, mein Freund, kannst einen Menschen nicht ändern, der sich nicht ändern will. Niemals hat ein Mann wahre Größe erreicht, indem er lediglich seinen Geist benutzt hat. Aber ich glaube nicht, dass Leonardo sein Herz mit einbeziehen wird, denn er will es gar nicht.«
    Andrea schaute fragend zu Fra Francesco, der ihn und Lorenzo die Bedeutung der Liebe gelehrt hatte, wie sie in der Lehre Jesu Christi übermittelt wurde. »Was meint Ihr, Meister?«
    Fra Francesco nahm sich Zeit für die Antwort. »Willst du wissen, was ich denke? Oder fühle? Denn auf

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