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Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Titel: Das Magdalena-Vermächtnis: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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diese Unterscheidung läuft es letzten Endes hinaus, nicht wahr? Leonardo kann denken, aber er weiß nicht, wie man fühlt, und er hat beschlossen, an diesem Ort der Absonderung zu bleiben. Ich glaube nicht, dass irgendjemand fähig ist, ihn von dieser Entscheidung abzubringen, denn er steht dazu. Dunkelheit wohnt in seinem Herzen, eine tiefe Dunkelheit, die aus Traurigkeit geboren wurde. Dieser Zustand ist nicht durch ihn selbst entstanden, aber das ändert nichts daran, dass er in der Dunkelheit lebt.«
    »Glaubt Ihr, dass er ein Himmlischer ist?«, fragte Lorenzo.
    »Ohne jeden Zweifel«, erwiderte der Meister und erschreckte die beiden durch die Bestimmtheit seiner Antwort. Nie zuvor war ein Künstler, so schwierig sein Charakter auch sein mochte, aus dem Kreis der Eingeweihten ausgeschlossen worden, wenn feststand, dass er mit der Gabe eines Himmlischen zur Welt gekommen war. Würde Fra Francesco also darauf bestehen, dass Leonardo blieb?
    »Ja, er ist ein Himmlischer, doch er wurde von seinen menschlichen Erfahrungen beschädigt, schon in sehr jungen Jahren. Man muss viel Liebe einsetzen, um seinen Panzer zu sprengen und die reine Göttlichkeit freizulassen, die in seinem Geist eingesperrt ist. Ich kann zwar nicht sehen, dass dies geschieht; dennoch lautet unser Grundsatz, dass die Gnade der Vergebung allen Menschen zuteil werden soll. Deshalb müssen wir gestatten, dass Leonardo noch eine Weile unter Andreas Obhut bleibt. Wir werden ihn mit Liebe, Nachsichtigkeit und Vergebung behandeln, wie die Gebote des Herrn es lehren, und abwarten, ob es eine Veränderung bei ihm bewirkt.«
    »Und wenn nicht?«, fragte Lorenzo.
    »Wenn es keine Veränderung gibt«, erklärte Fra Francesco mit leisem Lächeln, »suchen wir Leonardo einen neuen Mäzen in Italien, irgendeine edle Familie, die Ihr Euch geneigt machen möchtet – eine Familie, die fortan den Namen Medici preisen wird, weil diese ihr als Geste der Freundschaft den begabtesten jungen Künstler überlassen hat.«
    Lorenzo hob sein Glas und prostete dem alten Mann mit der Narbe zu. Das war ein wirklich genialer Einfall.

    1475 sollte sich als wichtiges Jahr für Lorenzo erweisen. Es war ein Jahr, in dem Gottes Segen über der Toskana ausgeschüttet wurde, denn es kamen mehrere Kinder zur Welt, die möglicherweise dieGaben der Himmlischen besaßen; dies ließen sowohl ihre Abstammung als auch die Konstellation der Sterne zum Zeitpunkt ihrer Geburt erwarten. Die astrologischen und numerologischen Prophezeiungen der Magi hatten besagt, es würde ein erhabenes Jahr werden. Tatsächlich war auch Clarice wieder guter Hoffnung und sollte im Dezember einem Kind das Leben schenken. Die Magi sagten Lorenzo einen Sohn voraus, dessen Schicksal es sein werde, die Mission des Ordens in die Zukunft zu tragen. Lorenzo setzte große Hoffnungen in dieses Kind, denn sein älterer Sohn, der kleine Piero, zeigte bereits jetzt Anzeichen, dass er ganz nach seiner Mutter kam. Er war verdrießlich und verwöhnt, und Lorenzo diskutierte regelmäßig mit Clarice über die Bildung des Knaben. Noch war er zu jung, aber in den nächsten Jahren würde Lorenzo mit Nachdruck die Richtung bestimmen müssen, in die die Bildung des jungen Piero zielen sollte. Clarice wollte, dass er streng nach dem katholischen Textbuch unterrichtet wurde und nur aus christlichen Büchern Lesen und Schreiben lernte. Lorenzo hingegen legte Wert darauf, dass der Knabe von Anfang an die Klassiker der Antike kennenlernte.
    Mehr Freude hatte Lorenzo an seinen Töchtern. Die Erstgeborene, nach seiner Mutter auf den Namen Lucrezia getauft, war ein liebliches Mädchen, das seinem Vater gerne vorsang. Doch die wahre Freude seines Lebens war die kleine Maria Maddalena. Sie war stets gut gelaunt und konnte ihren Vater um den kleinen Finger wickeln. Wenn Lorenzo am Abend in den Palazzo kam, nahm er die kleine Madi, wie sie liebevoll genannt wurde, in die Arme und warf sie hoch, bis sie vor Vergnügen kreischte. Maddalena war etwas ganz Besonderes, nicht nur ihres sonnigen, quirligen Wesens wegen – sie war am fünfundzwanzigsten Juli geboren, im Sternzeichen Löwe –, sondern weil sie Lorenzos Herz geheilt hatte, das nach dem Tod der Zwillinge gebrochen gewesen war. Im vergangenen Jahr hatte Clarice Zwillingssöhne geboren, die aber zu klein und schwach waren und nur ein paar Tage überlebten. Lorenzo war ebenso erschüttert von dem Verlust wie Clarice.Erst die Geburt der kleinen Maddalena hatte ihn geheilt. Seltsamerweise

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