Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Bruder bleiben.
»Hmm … ich bin gestürzt. Ich bin zu schnell geritten, und es war … noch nicht ganz hell. Au, mein Kopf!«
Giuliano hielt sich den schmerzenden Schädel und krümmte sich.
»Was tut dir noch weh?«
»Mein Bein … das linke. Bin draufgefallen.« Giuliano, nun ganz wach, strich mit der Hand über den Oberschenkel bis zum Knie. »Ich kann es beugen. Ich glaube nicht, dass es gebrochen ist … aber bestimmt ist es verstaucht.«
»Nun, du willst in den nächsten Tagen ja nicht reiten, also kannst du beruhigt sein. Und weil du jetzt nichts Besseres zu tun hast, könntest du mir endlich verraten, warum du dich so seltsam aufführst.«
»Fioretta«, lautete Giulianos schlichte Antwort.
Aha. Eine Frau steckte dahinter. Lorenzo hatte es schon vermutet, war aber nicht sicher gewesen. Obwohl Giuliano das Objekt der Begierde vieler junger Florentinerinnen war, hatte er nie besondere Vorliebe für eine bestimmte Dame gezeigt und sich sämtlichen Versuchen widersetzt, ihn zu verheiraten. Auch dies waren die Privilegien des Zweitgeborenen: nur Vorteile, ohne dafür Verantwortung tragen zu müssen. Giuliano stand es frei, sich nach Herzenslust zu vergnügen, und das tat er auch. Sein Leben war sorglos im Vergleich zu dem Lorenzos; dennoch war keiner der Brüder auf den anderen eifersüchtig. Beide lebten das Leben, für das sie geschaffen waren, und beide waren es zufrieden.
»Fioretta Gorini. Sie wohnt auf dem Hügel. Eine Schäferstochter. Besitzt keinen Pfennig. Nicht sehr gebildet. Ich könnte sie niemals zur Frau nehmen. Aber sie ist süßer, als Worte es beschreiben können. Unschuldig, lieblich … ein Engel. Sie hat Augen von der Farbe des Bernsteins …« Seine Stimme verklang. Lorenzo wusste nicht, ob er es dem Sturz zuschreiben sollte oder ob Giuliano tatsächlich bis über beide Ohren verliebt war.
»Zuerst hielt ich es nur für eine Schwärmerei. Aber es ist mehr. Wenn ich nicht bei ihr bin, denke ich nur an sie. Und wenn ich gerade von ihr komme, ist es noch viel schlimmer.« Giuliano versuchte sich aufzusetzen, als er seine Empfindungen beschrieb, aber die starke Hand seines Bruders drückte ihn in die Kissen zurück. »Oh, Lorenzo! Ich habe nie verstanden, was du für Colombina empfindest, aber jetzt weiß ich es. Es tut mir leid, dass dir so vieles versagt bleibt, Bruder.«
Lorenzo nickte. Erstaunt stellte er fest, dass Tränen in seinen Augen brannten, während Giuliano über seine erste Erfahrung mit der wahren Liebe sprach.
»Kennst du dieses Gefühl, Lorenzo, wenn du mit der Frau zusammen gewesen bist, die du liebst? Du spürst ihren Körper an deinem, sie steckt in jeder deiner Poren. Du riechst den Duft ihrer Haut an dir und fühlst ihre seidige Weichheit unter dir …« Er schloss die Augen, für einen Augenblick im Zauber der Liebe verloren; dann fuhr er fort: »Das alles ist Fioretta für mich. Und ich bin gekommen … ich habe dich gebeten mitzukommen … weil sie ein Kind erwartet. Mein Kind. Letzte Nacht haben die Wehen eingesetzt, und ich bin im Morgengrauen losgeritten, um mich zu überzeugen, dass sie die Geburt gut überstanden hat. Lorenzo, du musst sofort jemanden hinschicken! Bitte! Ich muss wissen, ob es ihr gut geht! Ich muss wissen, ob mein Kind gesund zur Welt gekommen ist!«
Der Arzt aus Fiesole war eingetroffen, als Giuliano dem älteren Bruder sein Geheimnis enthüllt hatte. Lorenzo brachte den Arzt nun zu seinem Bruder und sagte, während er das Zimmerverließ: »Ich schicke jemanden, der sich erkundigen wird nach dem, was du so dringend erfahren möchtest, Bruder. Versuch ein wenig zu schlafen, und mach dem Arzt nicht zu viel Arbeit.«
Lorenzo wusste genau, wen er schicken würde. Zuerst aber musste er etwas besorgen.
Das Haus der Gorini war klein und bescheiden, aber liebevoll gepflegt. Ein hübsches Beet mit Frühlingsblumen sog die letzten Strahlen der Nachmittagssonne auf. Lorenzos Besorgung hatte länger gedauert als gedacht, doch er war zufrieden, dass er das Gesuchte bekommen hatte.
Im Garten spielte ein Kind, ein kleines Mädchen von vielleicht zehn Jahren. Es lächelte Lorenzo freundlich an, als er vom Pferd stieg.
»Ist dein Pferd lieb?« Sie war kühn genug, ihn anzusprechen.
»Es ist ganz besonders lieb, wenn du ihm die Nase streichelst.« Lorenzo erwiderte das Lächeln der Kleinen. »Pass auf, ich halte ihn am Zügel, dann kannst du ihn tätscheln, am besten hier. Übrigens, er heißt Argo.«
Das Mädchen, ein zierliches, zartes Ding,
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