Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
musste den Satz nicht beenden. Lucrezia wusste nur zu gut, welche Qualen Lorenzo durchgemacht hatte, nachdem er von Colombina getrennt worden war. Seine Ehe mit Clarice war einigermaßen erträglich geworden; sie war ihm eine ebenbürtige Frau und seinen Kindern eine gute Mutter. Aber Lucrezia de’ Medici wusste, dass sie ihren ältesten Sohn durch die arrangierte Ehe zu einem Leben ohne Liebe verurteilt hatte.
»Was ich damit sagen will … Ihr habt die Möglichkeit, Giuliano dieses Glück zu schenken. Lasst ihn Fioretta heiraten. Nehmt sie in unsere Familie auf und lasst den kleinen Giulio als den Medici aufziehen, der er bereits ist.«
Lucrezia zuckte zusammen. Als sie von dem Schäfermädchen und dem neugeborenen Bastard-Enkel gehört hatte, war sie nicht sonderlich überrascht gewesen. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Söhne der Reichen sich mit Bauernmädchen einließen. Auf dem Lande lebten unzählige uneheliche Kinder. Selbst Cosimo hatte mit einer tscherkessischen Sklavin einen Sohn gezeugt. DieserKnabe, Carlo, war in der Tat als Medici aufgezogen worden, und selbst Cosimos Ehefrau Contessina hatte ihn akzeptiert. Lucrezia nannte ihre Schwiegermutter deshalb oft die heilige Contessina.
»Lorenzo, nur zu gern werde ich dieses Kind in unserer Familie großziehen. In seinen Adern fließt Giulianos Blut. Aber dafür muss er das Mädchen doch nicht gleich heiraten! Wir werden den Knaben adoptieren und erziehen und dafür sorgen, dass er alles bekommt, was er braucht.«
»Ihr versteht nicht, Mutter!«, versetzte Lorenzo schärfer, als er beabsichtigt hatte, und ein tief sitzender Zorn aus der Vergangenheit überkam ihn. »Er liebt sie. Sie ist nicht einfach ein Mädchen, das er besitzen wollte, weil er es zufällig auf der Jagd erblickte. Sie ist auch keine Dirne. Die beiden lieben einander. Und wäre es nicht großartig, wenn in dieser Familie zur Abwechslung um der Liebe willen geheiratet würde? Damit endlich die Ideale und der Glaube gelebt und vollzogen werden, an denen wir mit ganzer Seele hängen? Ich bin Euren Wünschen nachgekommen. Ich habe eine Frau Eurer Wahl geheiratet und für Erben gesorgt, für die Familie und für den Orden. Giuliano hingegen braucht keine dieser Pflichten zu erfüllen.«
»Aber er ist für die Kirche bestimmt, Lorenzo!«
»Ach, wirklich? Er ist fünfundzwanzig, Mutter, und er hat die Profess immer noch nicht abgelegt, weil er es schlicht nicht will. Außerdem wird er niemals ein Amt in der Kirche übernehmen können, solange Sixtus, dieser Verbrecher, auf dem Thron des Petrus sitzt. Vielleicht ist die Zeit gekommen, dass wir ehrlich zu uns selbst sein müssen. Lassen wir Giuliano ein Leben führen, das ihn glücklich macht. Soll das nicht wenigstens einem von uns gestattet sein?«
Madonna Lucrezia verschlug es die Sprache. Selten erhob Lorenzo die Stimme gegen seine Mutter, die er bis zur Anbetung verehrte. Dass er es jetzt tat, hinterließ einen tiefen Eindruck. Doch Lorenzo hatte gesagt, was er sagen wollte, und wünschtesich nichts sehnlicher, als die bedrückende Atmosphäre der Villa zu verlassen. Er ließ seine Mutter allein, damit sie über seine Worte nachdenken konnte, und machte sich auf zu einem Gang unter den Sternen von Fiesole.
Auf dem Weg fiel ihm ein, dass er morgen Abend ein Essen für den jungen Neffen des Papstes und einige Angehörige der Pazzi-Familie geben sollte. Er musste einen Boten nach Florenz schicken und den Empfang absagen. Giuliano würde ein paar Tage lang zu schwach sein, Besucher zu empfangen.
Giovan Battista da Montesecco hatte einen Brummschädel, große Sorgen und sehr schlechte Laune.
Am vergangenen Abend war er im Stadtviertel Ognissanti in einer Taverne gewesen. In der Hoffnung, sämtliche Vorbehalte gegenüber seinem Auftrag zu ertränken, hatte er sich eine schäbige Kaschemme ausgesucht, um sich auf die altbekannte Art der Soldaten abzulenken: mit zu viel Wein und billigen Weibern.
Montesecco war, als lache Gott ihn aus. Es kam ihm so vor, als hätte jeder in der Taverne – von dem alten Mann, der sich in einem Winkel seinem Wein widmete, bis hin zu dem frechen Schankmädchen, das später in einer Dachkammer die Röcke für ihn heben sollte – eine Geschichte über Lorenzo de’ Medici zu erzählen. Und jede Geschichte klang besser als die vorhergegangene: Lorenzo hat nie das Darlehen zurückgefordert, das er meinem Vater gewährte; Lorenzo hat unsere Kirche wieder aufgebaut, nachdem das Dach eingestürzt war; Il
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