Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
verlangt er von mir?«
»Informationen. Er möchte, dass Ihr nach Rom reist und ihm alles über den Orden und die Medici als seine Führer berichtet. Der Heilige Vater möchte sämtliche Reliquien und Dokumente, die Euer Vater für den Orden verwahrt hat, ausgehändigt bekommen. Und er will jedes Buch und jedes Papier, das Euer Vater von Cosimo erhalten hat.«
Bracciolinis Vater Poggio war Cosimos bester Freund und Verbündeter gewesen, ein wichtiger Mann im Orden. Die Familie Bracciolini war dem Orden des Heiligen Grabes seit vielen Generationen eng verbunden, und Jacopo war in der heiligen Tradition des Ordens erzogen worden. Er hatte sogar mit Lorenzo beim Meister gelernt, als sie noch Kinder waren. Doch Jacopo war immer schon anders gewesen; nie hatte er die Lektionen von Liebe und Gemeinschaft vollständig erfassen können, die das Kernstück der Lehre des Libro Rosso bildeten. Es war auch wenig hilfreich, dass Jacopo ständig mit Lorenzo und Sandro verglichen wurde, die brillante Schüler und ergebene Eingeweihte waren. Bracciolini neidete Lorenzo die Stellung und Sandro das Talent, weil er beides nicht in gleichem Maße besaß. Einst hatte auch er Malerwerden wollen, doch in den Werkstätten erkannte man rasch, dass er sich am besten zum Zermahlen von Mineralien eignete, um Pigmentfarben zu mischen.
Als Lucrezia Donati – oder Colombina, wie sie im Orden genannt wurde – mit sechzehn in den Kreis aufgenommen wurde, war in Bracciolinis ohnehin verdrehtem Geist vollends etwas zerbrochen. Colombina war das schönste Geschöpf, das er je gesehen hatte. Nun konnte er wirklich an die Lehren des Ordens über die Göttlichkeit der Frauen glauben. Doch seine Anbetung war nur von kurzer Dauer, denn rasch wurde offenbar, dass Colombina zu Lorenzo gehörte. Wieder genoss Lorenzo ein Privileg, das sich außerhalb von Bracciolinis Reichweite befand. Sein Neid und sein Hass erreichten einen Siedepunkt. Bracciolini suchte die Donati auf und teilte Colombinas Vater mit, der Kaufmann Medici beabsichtige, Donatis kostbare, aristokratische Tochter zu seiner Mätresse zu machen – falls er es nicht längst getan hatte. Das war der Grund gewesen, warum die Donati Lorenzo jeden weiteren Umgang mit Lucrezia untersagten. Später war es wiederum Bracciolini gewesen, der Niccolò Ardinghelli den Klatsch über Colombina und Lorenzo hinterbrachte. Mehrere Male hatte er den Ehemann aufgesucht. Und erst seine Schilderungen, genüsslich und detailreich, hatten dazu geführt, dass Colombina von ihrem wutentbrannten Gatten geschlagen worden war.
Schließlich hatte Jacopo eines Abends in betrunkenem Zustand vor der Antica Torre auf Colombina gewartet. Sie war die neue Prinzessin des Ordens, die kostbare Verheißene, die goldene Schülerin des Meisters. Doch Jacopo wusste, wer sie wirklich war: Lorenzos Hure. Und Lorenzo war für seinen Vater auf diplomatischer Mission in Mailand; deshalb erschien es Bracciolini nur logisch, dass Colombina eine Vertretung für den Abwesenden benötigte. Er packte sie, als sie durch die kleine Gasse kam, welche die Antica Torre von Santa Trinità trennte, und presste ihr die Finger auf den Mund, um ihren Schrei zu unterdrücken. Doch sie biss ihm in die Hand. Blut strömte. Und daswar noch nicht alles. Die liebliche, zartgliedrige Colombina war eine Kämpferin. Sie nestelte eine Brosche von ihrem Umhang, schlug damit nach Bracciolini und fügte ihm mit der Nadel eine tiefe Wunde zu. Er schrie so laut, dass ein Familienangehöriger der Gianfigliazza aus dem Turm trat und Colombina zu Hilfe eilte.
Bracciolini bedrohte sie, erpresste sie, dachte sich alle möglichen scheußlichen Gründe aus, um Colombina mundtot zu machen, doch ohne Erfolg. Sie war die Stimme der Wahrheit und verlangte, er müsse für den Angriff auf sie bezahlen. Sie ließ nicht zu, dass er den Spieß umdrehte und ihr die Schuld in die Schuhe schob. Sie würde nicht zum Opfer seiner Lügen werden, und sie wollte auch nicht hinnehmen, dass er straflos davonkam und einer anderen Frau Ähnliches antun konnte. Jacopo hatte nicht nur den guten Namen der Bracciolini entehrt, sondern auch sämtliche Gesetze des Ordens verletzt. Und dies war für seinen freundlichen, dem Orden ergebenen Vater Poggio das größte aller Verbrechen. Er verbannte Jacopo aus seiner Familie und enterbte ihn.
Jedes Quäntchen Schmerz, das Jacopo Bracciolini in seinem Leben erlitten hatte, rührte von Lorenzo de’ Medici, seiner kleinen Dirne und ihrem allerheiligsten
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