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Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Titel: Das Magdalena-Vermächtnis: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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sein Cousin, der hochgewachsene Kardinal Giulio de’ Medici, das Zimmer betrat. Giulio war der Einzige, dessen Gesellschaft Leo im Augenblick ertragen konnte, im Grunde sogar der einzige Mensch,den er überhaupt ertragen konnte. Denn nur Giulio konnte er seine Gedanken frei und ohne Vorbehalte mitteilen.
    »Komm herein, trink mit mir. Wir haben heute vieles zu feiern.«
    Giulio nickte und schenkte sich Wein in ein Kelchglas ein. Bevor er den ersten Schluck nahm, nickte er zu dem Porträt an der Wand.
    »Ich konnte heute seine Nähe spüren, Gio.« Giulio nannte den Papst nie anders als bei seinem Taufnamen, ein Privileg des nahen Verwandten. »Es war ein Gefühl, als wäre er hier bei uns, als schaute er zu und drängte uns, das Richtige zu tun. So wie er es immer getan hat.«
    Papst Leo blickte zum Bildnis seines Vaters hinauf und hob sein Glas. »Wir haben es für dich getan, Vater. Alles nur für dich.« Die dunklen, fast schwarzen Augen des Papstes waren die gleichen wie die des Mannes auf dem Porträt. Im Gedenken an seinen Vater füllten sie sich nun mit Tränen, denn er vermisste ihn noch immer.
    »Die Geschichte wird mich nicht rühmen für das, was heute geschehen ist«, sagte er. »Die letzten drei Jahre wird man mir ankreiden.«
    Giulio lächelte, was nur selten geschah. »Aber wir haben es vollbracht, Giovanni. Wir haben es geschafft.«
    »Nun ja, wir haben es angefangen. Es bleibt immer noch viel zu tun, aber heute haben wir unser Versprechen eingelöst. Und wenn ich als schwacher, unfähiger und nachgiebiger Papst in die Geschichte eingehe, soll es halt so sein. Ich habe gelobt, diese Tat zu vollbringen, und ich habe sie vollbracht. Ich wusste, was es mich kostet. Aber das ist ein geringer Preis, den ich gern für den endgültigen Sieg bezahle.«
    Beide tranken und dachten an die ereignisreichen Wochen zurück, die hinter ihnen lagen. Vier Jahre zuvor hatte in Deutschland ein Mönch und Professor der Theologie, ein gewisser Martin Luther, der katholischen Kirche gleichsam den Krieg erklärt, indemer eine Hetzschrift an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt hatte. In seinen fünfundneunzig Thesen verdammte Luther die Kirche vor allem wegen der Praxis des Ablasshandels, der von Papst Leo und seinem Cousin, Kardinal Giulio, unterstützt wurde.
    Papst Leo war gegen Luther eingeschritten, wenn auch zögerlich. Er hatte drei Jahre gebraucht, um gegen den Ketzer zu ermitteln und ihn dann mit der Bannbulle zu belegen, obwohl Luther erkennbar die Absicht hatte, die katholische Kirche zu zerstören.
    Der Pontifex war von Kardinälen und anderen Kirchenführern in ganz Europa heftig kritisiert worden, weil er keine energischeren Schritte gegen Luther und seine wachsende Anhängerschar unternahm. Doch Leo X. hatte eisern auf seinem Standpunkt beharrt, dass solche Schritte sorgfältig bedacht werden müssten und erst nach langer Bedenkzeit in die Tat umgesetzt werden sollten. Er schickte mehrere päpstliche Gesandte – sämtlich Freunde und Anhänger der Medici – nach Deutschland, damit sie sich selbst ein Bild von Luther machten. Dies führte jedoch eher dazu, dass die Reformer angestachelt wurden und die Bewegung viele neue und fanatische Anhänger gewann. Als die päpstliche Bannbulle gegen Luther ergangen war, hatte dessen Bewegung bereits so viele Anhänger, dass der Kirchenbann wie ein Ehrenzeichen getragen wurde: Von einer Kirche ausgeschlossen zu werden, die man verachtete, war Anerkennung und Segen zugleich.
    Am heutigen Tag nun hatte Papst Leo nach hitzigen Debatten verfügt, keine weiteren Schritte gegen Martin Luther zu unternehmen. Er verkündete, die Bannbulle reiche aus. Zweifellos würden die Reformer durch die Exkommunizierung entmutigt werden, und ihr Aufstand gegen die heilige römische Kirche werde rasch im Sand verlaufen. Leo X. hatte andere, wichtigere Dinge zu tun: Der Neubau des Petersdoms stand an; außerdem gab es neue Aufträge für Michelangelo und einen anderen der Himmlischen, Raffael. Überdies war ein vielversprechender jungerKünstler namens Tizian aus der venezianischen Schule nach Rom gekommen – ein Talent, das besondere Förderung verdiente.
    Die Kardinäle tobten. Hatte der Papst den Verstand verloren? Wie konnte er übersehen, dass die katholische Kirche vom gefährlichsten Umsturz in ihrer Geschichte bedroht wurde? Überdies hatte der Pontifex bereits ein Vermögen für künstlerische und architektonische Aufträge verschleudert, die seinen Hang zu

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