Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Arno zu machen. Florenz bei Nacht war ein grandioses Schauspiel – vielleicht genau das, was er jetzt brauchte, um das neue Wissen zu verdauen.
Peter stemmte die massive hölzerne Sicherheitstür auf, die die privaten Apartments der Antica Torre vor der Außenwelt abschirmte. Als er schon halb draußen war, bemerkte er eine junge Frau, die von der anderen Straßenseite auf ihn zulief und dabei hektisch winkte.
»Halten Sie bitte die Tür auf!«
Sie war außer Atem, schaffte es aber dennoch, Peter dankend anzulächeln, als sie sich gegen die Tür stemmte. »Hab meinen Schlüssel vergessen«, keuchte sie und wies auf das Magnetschloss, das die Tür sicherte. »Diese Dinger setzen jedes Mal meine Kreditkarten außer Gefecht. Darum kann ich den Schlüssel nicht in die Handtasche stecken, und deshalb verlege ich ihn ständig. Ganz schön lästig!«
Peter nickte der Frau zerstreut zu, völlig in Anspruch genommen von den Dingen, die ihm durch den Kopf gingen. Die junge Frau winkte noch einmal und strebte auf den Fahrstuhl zu.
Wäre Peter nicht so abgelenkt gewesen, hätte er vielleicht bemerkt, dass die Tür an der Stelle, wo die Frau sie angefasst hatte, einen Blutfleck aufwies.
Die Nacht war zauberhaft. In der Luft lag der seidige Hauch des Frühsommers, und eine leichte Brise wehte vom Arno heran. Tamara und Roland saßen auf dem Dachgarten der AnticaTorre und genossen in vollen Zügen den Anblick des nächtlichen Florenz unter dem Vollmond. Wenn es je einen Ort für einen romantischen Abend zweier Liebender gab, dann war es diese Dachterrasse.
Roland hatte Tamara in den letzten Tagen bei ihrer Arbeit geholfen. Gemeinsam hatten sie die Legende um Longinus recherchiert. Sie versuchten immer noch zu entscheiden, ob sie Destino bitten sollten, sich über seine Behauptung zu äußern, oder ob sie lieber warten wollten, bis er selbst darauf zu sprechen kam.
»Wie lauten die Regeln für den Umgang mit einem Mann, der behauptet, zweitausend Jahre alt zu sein?«, fragte Tammy.
Roland stimmte in ihr Lachen ein. Als Erbe des Vermächtnisses einer Geheimgesellschaft wusste er so einiges über Anstandsregeln. »Wir warten einfach ab. Destino wird uns eher vertrauen, wenn wir ihn nicht drängen. Er darf nicht das Gefühl haben, wir wollten ihn ausquetschen. Außerdem hat er uns aus einem ganz bestimmten Grund nach Florenz geholt, und mir genügt es vorerst, wenn wir erfahren, worum es dabei geht.«
»Glaubst du, Berenger wird ihn nach der Lanze fragen?«
Roland überlegte einen Augenblick; dann nickte er. »Ich hoffe es. Er muss es tun. Und es dürfte Destino schwerfallen, dieser Frage zu widerstehen – nicht nur, weil es sich um esoterisches Wissen handelt.«
»Sondern auch, weil Berenger gerade jetzt mit einer ganz persönlichen Schicksalsentscheidung konfrontiert ist«, vollendete Tammy Rolands Gedanken.
Roland nickte. »So ist es. Ich habe immer geglaubt, dass die Schicksalslanze ein Symbol für den inneren Kampf des Menschen ist. Sie trägt eine Art Energie, eine Schwingung in sich, die die Eigenschaften ihres Besitzers verstärkt. Deshalb wird ein guter Mann wie Karl der Große noch größer, während ein Mann mit bösen Absichten ein Monster wird – siehe Hitler.«
»Berenger ist ein guter Mann, der zu einem Großen werden könnte.«
Wieder nickte Roland, doch die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, ließen ihn die Stirn furchen. »Aber welcher Weg ist für ihn der Weg zur Größe, Tamara? Was soll er tun? Soll er sein Glück mit Maureen über alles andere stellen? Oder soll er die Verantwortung für diesen kleinen Jungen übernehmen, der offensichtlich unter einem besonderen Stern geboren ist?«
Tammy starrte ihn verwundert an. Sie liebte Roland, doch manchmal erschreckte er sie. Er war in der fremden und komplexen Welt der Geheimgesellschaften Europas aufgewachsen. Sein Vater, einst Vorsteher der Gesellschaft der Blauen Äpfel, war Opfer der Intrige einer feindlichen Bruderschaft geworden, die ihn brutal ermordet hatte. In Rolands Welt waren solche Intrigen keine Spielchen oder leere Rituale, denn in dieser Welt gab es tödliche Geheimnisse, die Auswirkungen auf die Geschichte und die ganze Menschheit haben konnten. Manchmal war es für Tammy, die amerikanische Großstädterin, sehr schwer, die Abgründe und Gefahren dieser Welt zu verstehen. Und an Gefahren hatte sie in den letzten Jahren einiges erlebt. Manchmal waren sie aufregende Zugaben zu ihrem neuen Leben mit Roland, manchmal jedoch
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