Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
lernte bei Giotto.« Piero nickte FraFrancesco zu, während er fortfuhr. »Vielleicht sollte ich besser sagen, dass er die Malerei bei Giotto gelernt hat. Alles andere hat unser Meister ihm beigebracht.«
Piero hielt inne, um Cosimo, den Patriarchen, mit allem schuldigen Respekt zu begrüßen. Obwohl der Maler aus der südlichsten Region der Toskana stammte, hatte er ausschließlich unter der Schirmherrschaft Cosimos in Florenz gelernt. Zwar hätten die Medici Piero am liebsten in Florenz behalten, doch sie wussten, wie sehr der Meister ihn in Arezzo und Santo Sepolcro brauchte. Als offiziellem Schreiber des Ordens oblag es ihm, bleibende Kunstwerke zu schaffen, um die Lehre auf diesem heiligen Boden zu bewahren.
Dies war bereits ein Teil der Unterweisungen, die Sandro und Lorenzo im Laufe der nächsten Woche erhalten sollten. Sie würden Einsicht gewinnen in Pieros unerreichte Kunst der Geschichtsdarstellung mittels Freskenmalerei. Arezzo war der Ort, an dem geprüft wurde, wie stark die »vor aller Augen versteckten« Lehren des Ordens wirkten. Danach oblag es den Florentiner Mitgliedern des Ordens, diesen Ansatz weiterzuentwickeln und die symbolischen Meisterwerke einem größeren und verwöhnten Publikum nahezubringen.
Der Orden unternahm kühne Schritte, um mithilfe der Medici und ihres Heeres himmlischer Künstler Florenz zu erobern. Und wenn sie dort ihre Ziele erreicht hatten, würden sie die Eroberung Italiens ins Auge fassen – und letztlich sogar Rom einnehmen können.
Die machtvolle Allianz zwischen Lorenzo und Sandro würde die Revolution für ein Goldenes Zeitalter der Kunst und Bildung einleiten. Ihre Mission war die Erneuerung der wahren Lehre der frühen Christen durch epische Kunstwerke.
Doch wenn Ficinos Schüler zu eingebildet wurden ob der Wichtigkeit ihrer Mission, ermahnte er sie stets aufs Neue, dass sie nicht die Ersten seien. Sie waren lediglich die Erben eines großartigen Vermächtnisses, errungen durch das Blut und dieOpfer jener Männer und Frauen, die ihnen vorausgegangen waren. Ficino zitierte den großen Gelehrten und geistigen Führer des Ordens im zwölften Jahrhundert, Bernhard von Chartres:
»Bedenkt, dass wir wie Zwerge sind, die auf den Schultern von Riesen stehen.«
Kapitel zehn
Florenz
Gegenwart
B e denkt, dass wir wie Zwerge sind, die auf den Schultern von Riesen stehen.«
Peter Healy zitierte des Öfteren Bernhard von Chartres, stets bemüht, die Größe jener zu würdigen, die alles gaben, damit wir nicht in Dunkelheit wandern. Doch das Zitat schien besonders auf »Cosimo Pater Patriae« und »Lorenzo il Magnifico« zuzutreffen, deren Statuen in Nischen standen, die in die Kolonnaden in den Uffizien gehauen waren.
Peter und Maureen waren zuerst am Fluss entlangspaziert, um dann in den Innenhof der Uffizien abzubiegen. Der Eingang zu dieser Schatzkammer der Renaissance wurde von Statuen der berühmtesten Künstler der Stadt gesäumt, von Malern, Schriftstellern und Architekten. Peter und Maureen waren an Donatello und Leonardo vorbei zum anderen Ende des langen Hofs gegangen, der auf die Piazza della Signoria mündete. Hier stand Cosimo, der erstaunlich milde wirkte, neben seinem Enkel. Lorenzos Statue war überaus fein gearbeitet und lebensecht. Die Hand Il Magnificos ruhte auf einer Büste der Minerva, der Göttin der Weisheit.
Maureen blieb vor dem steinernen Abbild Lorenzos auf dem Piedestal stehen und betrachtete es schweigend. Ein Schauer überlief sie, während sie sein Gesicht anschaute; der Künstler hatte Lorenzo getreu mit seinem hervorstechenden Merkmal abgebildet, der stark abgeplatteten Nase. Doch obwohl Lorenzo de’ Medici zumeist als reizlos oder sogar hässlich beschriebenworden war, musste Maureen plötzlich denken, wie schön er war. Dass er ein überaus edler Mann gewesen war, merkte man selbst noch dem steinernen Abbild an, das Hunderte von Jahren nach seinem Tod gemeißelt worden war.
Er war ohne Frage Il Magnifico, der Prächtige.
Maureen fröstelte, obwohl die Sonne schien und der Maitag heiß werden würde.
Peter bemerkte es. »Was ist?«
Maureen schluckte, denn ihr saß mit einem Mal ein Kloß im Hals. »Das ist er, ohne Zweifel. Ich meine, ich habe schon Porträts von ihm gesehen und jedes Mal gedacht, wie seltsam dieser Mann aussieht. Aber das hier … das ist Lorenzo. Es ist, als wäre er in Stein eingefangen. Sein genaues Ebenbild.«
Sie war wie hypnotisiert, versuchte ihre Gefühle in Worte zu fassen. »Ich kann es nicht
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