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Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Titel: Das Magdalena-Vermächtnis: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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er sah, wie das Licht Colombinas als Tugend der Tapferkeit seine sechs Bilder überstrahlte, verfiel er in tiefe Trauer und rührte monatelang keinen Pinsel mehr an.«
    » Das ist Colombina?« Staunend stand Maureen vor dem Gemälde. Destino hatte sie mit Geschichten aus der Kindheit Colombinas und Lorenzos auf diesen Augenblick vorbereitet; er hatte beim Abendessen begonnen und bis in die frühen Morgenstunden erzählt. Maureen war wie verzaubert vom Leben der beiden und von Sandro Botticelli, der ihnen so nahe war wie ein Bruder. Die Renaissance wurde auf eine Weise lebendig, wie Maureen es nie erwartet hätte – so menschlich, so real. Es verführte einen dazu, diese erstaunlichen Menschen zu Ikonen zu stilisieren und darüber zu vergessen, dass sie wie ganz normale Sterbliche gelacht, geliebt und getrauert hatten. Destino hatte die Geschichte auf unerwartete, wunderbare Weise für Maureen verändert.
    »Oh ja, das ist Colombina, ohne jeden Zweifel«, sagte er jetzt. Tränen stiegen ihm in die Augen, während er auf das Bildschaute. »Sandro gelang, was er sich vorgenommen hatte. Er fing Colombinas Seele ein. Obwohl er sie später noch oft malte – ihr berühmtestes Bild erwartet uns im nächsten Saal –, vermisse ich sie immer dann am schmerzlichsten, wenn ich dieses Porträt anschaue.«
    Maureen stand wie gebannt vor Colombina. Jetzt schon sprach diese Frau zur ihr. Maureen spürte, wie sie immer tiefer in jenen Zustand versank, der es ihr möglich machte, mit einem anderen Wesen zu verschmelzen. Sie konnte immer deutlicher spüren, was Colombina empfunden hatte, als Botticelli ihr Wesen, ihre Seele auf die Leinwand bannte. Es musste eine ebenso wundervolle wie schmerzliche Zeit gewesen sein, denn Maureen fühlte Liebe und Kummer zugleich. Ihr kürzlich erlittener eigener Schmerz vermischte sich mit dem Colombinas, die ihr dank der Magie von Botticellis Kunst durch Zeit und Raum die Hand entgegenstreckte.
    Maureen wusste, dass sie gerade erst begonnen hatte, die Vielschichtigkeit der »kleinen Taube« zu verstehen, die unbesungene Muse der mächtigsten Männer der Renaissance. Sie begriff, dass ihr eigenes Schicksal auf irgendeine Weise mit dem dieser schönen und rätselhaften Frau verwoben war, die von der Leinwand zu ihr sprach.

Kapitel dreizehn
    Careggi
    Sommer 1464
     
    D i e Zeit kehrt wieder.« Fra Francesco begann den Unterricht mit diesem Kernsatz, den er an Lorenzo, Sandro und Colombina richtete. Wenn diese drei im Schulzimmer waren, unterrichtete er gern, weil dann jedes Mal Harmonie und ein familiäres Gefühl von Gemeinschaft herrschten. Es war wunderbar, die Liebe zu sehen, die diese drei jungen Menschen füreinander hegten.
    Ihr erster Lehrer war Ficino. Er brachte ihnen griechische Grammatik bei und drillte sie in den Dialogen und Gleichnissen Platons. Viel mehr aber genossen sie die seltenen Unterrichtsstunden beim Meister des Ordens vom Heiligen Grab. Wenn er eine Stunde gab, fand Colombina stets einen Vorwand, das Haus ihrer Eltern zu verlassen und zusammen mit Lorenzo zum Unterricht zu kommen.
    Als Lehrer musste Fra Francesco besonders erfinderisch und kühn sein, wenn alle drei in seinem Unterricht saßen. Für ihn war es die größte Herausforderung; deshalb hatte er für die heutige Stunde eine Diskussion über das Herzstück der Ordensphilosophie gewählt.
    »Nun, meine Kinder, lasst uns beginnen. Sagt mir, wie ›Die Zeit kehrt wieder‹ in der Sprache der Troubadoure heißt.«
    »Le temps revient« , sagte Lorenzo auf Französisch. Er beherrschte die Sprache zwar nicht flüssig, hatte aber vieles gelernt, als er die Lyrik der Troubadoure und die Ideale der höfischen Liebe studiert hatte.
    Der Meister nickte. »Die wiederkehrende Zeit ist unsere wertvollste Lehre, denn sie enthält eine Vielzahl verschiedener Ebenen, von denen jede sich auf eine andere Art der Liebe bezieht. Die Lehre des Ordens besagt, dass die irdische Liebe schließlich zur göttlichen Liebe zurückkehrt und dass die göttliche Liebe einen Kreislauf beschreibt, um uns wieder die Gabe des irdischen Lebens zu schenken. Das, meine Kinder, ist der Kreislauf der Seele.«
    Während Colombina und Lorenzo die Worte des Meisters niederschrieben, zeichnete Sandro. Das war seine Art, zu lernen und sich zu erinnern. Und die Zeit würde kommen, da er das Gelernte in Leinwand und Farbe ausdrückte. Während der Meister redete, zeichnete Sandro eine Landschaft mit Menschen, die sich in einer Art Kreislauf bewegten, vom Himmel

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