Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
hätte. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, eine solche Frage vom eigenen Vater zu hören? Jemand hat ihm gesagt, du würdest mich zu deiner Hure machen, nur um die Macht der Medici zu beweisen … nur um zu beweisen, dass du tun kannst, was du willst.«
»Was hast du deinem Vater geantwortet?«
»Ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Dass es nicht stimmt! Ich habe mich dir nicht hingegeben, obwohl es nichts auf der Welt gibt, das ich lieber tun würde. Doch von nun an wird Vater mir verbieten, dich zu sehen. Er will mich in die Stadt schicken, damit ich nicht mehr von dir und dem Wald angelockt werde. Was sollen wir nur tun, Lorenzo? Ich ertrage es nicht, wenn ich dich und Sandro und den Meister nicht mehr sehe …«
Lorenzo umarmte sie fest und ließ sie sich ausweinen, streichelte ihr über das Haar und murmelte beruhigend: »Ist ja gut, Colombina. Du wirst nicht von mir getrennt. Mir wird schon etwas einfallen.«
Im Augenblick wollte ihm gar nichts einfallen. Aber er war nicht umsonst ein Medici.
»Das kommt überhaupt nicht in Betracht, Lorenzo«, betonte Piero de’ Medici mit Nachdruck. Bestürzt schaute Madonna Lucrezia der Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn zu. »Wir dürfen uns die Donati nicht zum Feind machen. Sie sind eine mächtige, angesehene Familie, nicht nur in Florenz, sondern in ganz Italien.«
»Dann erlaube mir doch, das Mädchen zu heiraten.«
»Es ist unmöglich, mein Sohn.« Piero war am Ende seiner Geduld. Als Medici verabscheute er jeden geschäftlichen Fehlschlag, gleich welcher Art, doch dieses Unterfangen war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. »Die Donati werden eine Heiratnicht einmal in Erwägung ziehen. Glaubst du etwa, ich hätte nicht davon gesprochen? Ser Donati hätte mir beinahe ins Gesicht gespuckt. Für ihn sind wir hergelaufene Kaufleute und werden es immer bleiben. Sie werden ihrer Tochter niemals erlauben, einen Mann ohne Adelstitel zu heiraten. Sie sind engstirnige Menschen, die überkommenen Traditionen anhängen.«
»Aber sie ist eine Verheißene!« Lorenzo gab nicht nach. »Und Ihr wisst doch, was im Libro Rosso steht: ›Wenn die Verheißene und der Dichterfürst wieder vereint sind, werden sie den Lauf der Welt ändern. Wie Salomon und die Königin von Saba werden sie die Geheimnisse Gottes und der Menschen enthüllen und unermüdlich daran arbeiten, den Himmel auf Erden zu erschaffen.‹«
»Ihre Familie glaubt nicht daran. Sie verstehen nicht einmal, was diese Prophezeiung bedeutet. Und würden wir versuchen, es ihnen zu erklären, würden sie mit Fackeln vor den Toren von Careggi stehen und unsere Köpfe fordern, weil wir Ketzer sind. Denk nach, Lorenzo! Wir haben viel zu verlieren, nicht nur als Familie. Wir müssen den Orden und unsere Mission schützen. Beides dürfen wir nicht aufs Spiel setzen, selbst wenn wir dafür unser Glück opfern müssen.«
»Welchen Sinn haben dann die Lehren des Ordens?«
»Lorenzo!« Madonna Lucrezia war entsetzt. Nie hatte sie erlebt, dass ihr Sohn die geistliche Tradition geringschätzte.
»Ich will eine Antwort, Mutter. Wenn das Buch der Liebe lehrt, dass Colombina und ich seit Anbeginn der Zeit von Gott füreinander geschaffen wurden, und wenn das, was Gott zusammengefügt hat, kein Mensch trennen darf, warum müssen wir unser Leben dann getrennt voneinander verbringen?«
Piero versuchte, eine Antwort zu geben. »Die Lehren unseres Herrn schreiben vor, unseren Nächsten zu lieben, und die Donati sind unsere nächsten Nachbarn. Sie drohen uns und allem, was uns heilig ist, eine Fehde an, wenn wir dich nicht von ihrer Tochter fernhalten. Deshalb müssen wir uns beugen.«
Lucrezia schlug einen sanfteren Tonfall an. »Lorenzo, ich verstehe ja, dass du glaubst, die kleine Donati sei deine Zwillingsseele. Junge Liebe glaubt stets, sie könne die Welt besiegen. Aber …«
»Ich weiß, dass sie meine Seelengefährtin ist, Mutter, und sie weiß es ebenfalls. Und auch Fra Francesco. Ich würde wirklich gern wissen, warum im Laufe der Geschichte so viele wahre Liebende getrennt leben mussten. Warum handeln alle großen Liebesgeschichten von Schmerz und Trennung? Ich will nicht Teil einer solchen Geschichte sein, ich will es ändern! Ist es nicht das, wofür ich geboren wurde? Bin ich nicht deshalb unter dieser goldenen Prophezeiung geboren, die mich an jedem Tag meines Lebens einsperrt?«
»Aber Lorenzo! Wie kannst du so etwas sagen?«
»Weil es wahr ist, Mutter.«
Piero schaltete sich wieder ein.
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