Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
»Manchmal, mein Sohn, ist es unsere Pflicht, edelmütig zu sein, bevor wir glücklich sein dürfen. Ein Krieg mit den Donati würde alle Florentiner Familien in Mitleidenschaft ziehen. Wir können nicht wieder mit den blutigen Fehden anfangen, für deren Beendigung wir so viele Jahre gebraucht haben. Wenn wir uns mit den Donati befehden, wird die Stadt zweigeteilt sein, und die Florentiner werden sich noch über Generationen hinweg bis aufs Blut bekämpfen. Du weißt, dass wir das nicht zulassen dürfen …«
Er verstummte abrupt, als Cosimo in der Tür erschien, grau und vom Tod gezeichnet. Doch obwohl seine Tage gezählt waren, brauchte er keine Stütze, und seine Stimme klang voll und stark. Er schickte Piero und Lucrezia freundlich, aber mit Nachdruck aus dem Zimmer, weil er mit seinem Enkel allein sprechen wollte. Dann führte er Lorenzo zu einer Bank und setzte sich neben den Heranwachsenden. Seine Gelenke knackten beim Hinsetzen, doch er achtete nicht darauf. Wie stets konzentrierte Cosimo sich allein auf seine Aufgabe.
»Lorenzo, ich möchte, dass du dir einige Führer unseres Ordens zum Vorbild nimmst. Die berühmte Mathilde war heimlichmit einem Papst verheiratet! Vor den Augen der Menschen konnten sie nicht zusammen sein, ihr Leben lang nicht – ein Leben, das von Größe und Wichtigkeit geprägt war. Dennoch ersannen sie Mittel und Wege, um ihre Liebe abseits der Welt zu hegen und zu pflegen.«
»Was wollt Ihr damit sagen, Großvater? Dass ich Colombina zu meiner Mätresse machen soll, wie ihr Vater es befürchtet?«
»Ich sage lediglich, dass wahre Liebe einen Weg findet, Lorenzo. Ich leide mit dir, mein Junge. Es bricht mir das Herz, dass du vielleicht niemals wahres Glück und Zufriedenheit kennenlernen wirst, weil du nicht mit der Frau zusammen sein kannst, die von Gott für dich erschaffen wurde. Deshalb sage ich, du musst Mittel und Wege ersinnen, wie du mit ihr zusammen sein kannst. Und du darfst dich nicht um die Gesetze kümmern, die die Gesellschaft aufgestellt hat. Schließlich stammen diese Gesetze nicht von Gott, sondern von Menschen. Von der Kirche. Du musst dich fragen, wessen Gesetzen du folgen willst. Den Gesetzen Gottes oder denen der Menschen. Du sagst, du willst überholte Muster zerbrechen und neue schaffen? Dann tu es. Es ist Teil deines Schicksals, mein Junge.«
Cosimo hielt kurz inne, um Atem zu schöpfen und nachzudenken, bevor er fortfuhr: »Heute erst merke ich, dass ich dir nie die Geschichte meiner eigenen Magdalena erzählt habe, der schönen Frau, die Carlos Mutter ist.«
Carlo war Cosimos unehelicher Sohn aus einer skandalösen Liaison mit einer tscherkessischen Sklavin. Contessina, Cosimos Ehefrau, hatte den Jungen liebevoll in ihr Haus aufgenommen, sodass er als Medici aufwachsen und den Familiennamen tragen konnte. Sie hatte sich nie beschwert oder Carlo grob behandelt. Doch es war ein unausgesprochenes Gesetz im Hause Medici, dass über Carlos Herkunft nicht geredet werden durfte. Da seine Haut und seine Augen dunkler waren als die der anderen Söhne, wurde man ohnehin an seine Herkunft erinnert.
»Ich spreche in der Familie nicht darüber, da sich deine Großmuttergrämen würde. Aber es ist an der Zeit, dass du es erfährst, mein Junge: Carlos Mutter ist meine größte Freude und mein größter Schmerz. Sie ist die Liebe meines Lebens, meine Seelengefährtin. Und doch ist sie eine Sklavin, geboren in der Fremde, und es ist mir unmöglich, mich vor den Augen der Welt zu ihr zu bekennen. Nun sag, Lorenzo, was mag sich Gott dabei gedacht haben? Wie konnte Gott einen Menschen erschaffen, der so gut zu mir passte – und es dann unmöglich machen, dass wir zusammen sein können?«
Lorenzo war wie betäubt. Er hatte geglaubt, Cosimo besser zu kennen als alle anderen, und nun entdeckte er, dass es im Leben seines Großvaters eine ganze Seite gab, die ihm unbekannt war.
»Ich habe sie vor vielen Jahren in Lucca kennengelernt, als ich geschäftlich dort zu tun hatte. Sie war Sklavin im Haus eines Aristokraten. Obwohl sie die schönste Frau war, die ich je gesehen hatte, schien der Hausherr sich nicht für sie zu interessieren. Ich glaube, er zog Männer vor. Deswegen war dieses Mädchen nie von einem Mann missbraucht worden, zumindest nicht, nachdem sie in diese Familie verkauft worden war. Sie wurde dort gut behandelt, und sie besaß ein freundliches Wesen. Und da sie schon einige Jahre in der Toskana lebte, beherrschte sie unsere Sprache sehr gut. Schnell wurde
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