Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
sein tüchtiger Helfer verriet, wer sie waren. »Es ist die Tochter des Herzogs mit ihren Dienerinnen. Sie hat ihr ganzes Leben auf der Insel zugebracht. Jetzt kehrt sie heim, um einen Ehemann zu suchen, bevor der alte Herzog stirbt.«
Gereint hatte noch nie zuvor eine Herzogstochter gesehen. Er bezweifelte auch jetzt, dass er sie zu Gesicht bekommen würde. Bei all den Schleiern und Wächtern gab es für einen einfachen Stallburschen kaum eine Chance, einen Blick auf ein so vornehmes Gesicht zu erhaschen.
Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab zu träumen, dass es ihm dennoch gelingen könnte. »Sie ist bestimmt wunderschön«, sprach er seine Gedanken laut aus. »Das sind sie doch alle, diese edlen Damen, nicht wahr?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Ist mir noch nicht aufgefallen.« Er war noch sehr jung. Gereint schluckte alles andere hinunter, was er vielleicht noch hätte dazu sagen können. Der Junge hätte ihn niemals verstanden.
Die Männer traten aus dem Haus, in Reitkleidung und bewaffnet, dann folgten die Damen.
Sie waren genauso dicht verschleiert wie zuvor, gesichtslos und stumm. Gereint musste unwillkürlich an seine Mutter mit ihrem unbedeckten, wettergegerbten Gesicht und ihrer unverblümten Wesensart denken. Diese vornehmen Damen unterschieden sich so sehr von ihr wie Geister aus dem Äther.
Er blieb an seinem Platz in den hinteren Reihen, als die Karawane durch das Tor trottete. Die Damen ritten in der Mitte. Sie wurden nicht nur durch Waffen geschützt; die Schutzzauber waren so stark, dass Gereint die Ohren brummten.
Er richtete den Blick auf die Straße, die vor ihm lag. Ritter waren keine Priester; die Liebe der Frauen war ihnen nicht verboten. Aber sie heirateten nicht, und hochgeborene Damen mussten heiraten. Diese Damen waren unerreichbar für ihn, nicht nur, weil er von gemeiner Abstammung war, sondern auch, weil er ein Ritter werden wollte.
Sein Körper wusste nichts von alledem. Hätte er davon gewusst, hätte es ihn nicht gekümmert. Die strengen Augen seiner Mutter und seine aufsprießende Magie hatten ihm in Remy wenig Zeit gelassen für die Dinge, die nach den Worten Gleichaltriger ganz von allein kamen. Es hatte ihn jedoch nicht gehindert, an diese Dinge zu denken und ihm so manchen Traum beschert, der ihn morgens erschöpft und klebrig aufwachen ließ.
Er rutschte unbehaglich im Sattel herum und bemühte sich, seine Gedanken auf seinen gestrigen blamablen Auftritt auf dem Kampfplatz zu lenken. Er konnte seine Fehler anhand der Blutergüsse zählen. Während er sich jeden einzelnen ins Gedächtnis rief und sich auf die genauen Worte des Waffenmeisters besann, hallte der vernichtendste Kommentar in seinem Kopf wider. »Du bist übergroß und vollkommen unkoordiniert«, hatte der Mann gesagt, »aber deine Plumpheit ist nicht hoffnungslos. Irgendwo schlummert Talent in dir und wartet darauf, von dir entdeckt zu werden. Du kannst ein guter Kämpfer werden. Was dir am meisten fehlt, ist der Glaube. Du glaubst nicht, dass du es schaffen kannst, oder besser gesagt, solltest. Wenn du dir selbst gestattest zu lernen, dann wirst du es lernen.«
Gereint war sich nicht sicher, was er damit gemeint hatte. Vielleicht wollte er es auch nicht wissen. Mit finsterer Miene starrte er auf die Straße. Seine seltsame Stimmung war noch seltsamer geworden.
Bei Anbruch der Dunkelheit würden sie in Fontevrai sein. Vielleicht würde es dort Antworten geben und Hilfe für seine Sorgen. Er würde weder das eine noch das andere erlangen, indem er Frauen anschmachtete, deren Gesichter er nicht einmal sehen konnte.
Kapitel 11
Averil war froh, Morency zu verlassen. Es war zwar eine recht hübsche Stadt und das Ritterhaus war groß und gut geführt, aber es gab verstörende Untertöne. Es war nicht nur der Befehl ihres Vaters und der Tarnzauber, der Emma ein fremdes Gesicht verlieh. Es war der Ort selbst.
Sie hatte die Lücke im Netz der Schutzzauber gespürt. Sie fühlte sich an wie ein Loch in einer gut geschmiedeten Rüstung — umso beunruhigender, weil alles andere so sorgfältig gearbeitet war. Sie konnte nicht sagen, warum die Lücke dort war oder wozu sie dienen sollte, aber sie wusste, dass sie sie nicht auf sich beruhen lassen konnte. Sie musste sie ausbessern.
Es war ein einfaches Werk, weniger kompliziert als vieles, was sie auf der Insel getan hatte. Sobald es getan war, kam eine Kreatur aus dem Äther, um es zu testen, als wäre sie durch ihre Arbeit angelockt worden.
Die Kreatur
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