Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
geriet wieder ins Rutschen und ließ das darunter liegende Chaos erahnen.
Die wilde Magie in ihrem Inneren kämpfte darum zu reagieren. Etwas bewegte sich, kroch auf sie zu. Sie schärfte ihren Blick - den inneren wie den äußeren -, aber nichts wurde deutlich.
Kurz und heftig wünschte sie sich, dass Gereint da wäre mit seinem Blick, der klarer war als der aller anderen. Sie konnte gehen und ihn holen, um diese Stunde würde er sicher in der Bibliothek sein. Aber aus einem unerfindlichen Grund zögerte sie, den Herzog zu verlassen.
Sie klappte das Buch zu und legte es beiseite. Das dumpfe Geräusch, das beim Auflegen des Buches auf die Tischplatte erzeugt wurde, war der einzige Laut auf der Welt, bis auf die sanften Atemgeräusche von Vater und Tochter. Falls in der Halle noch ein Zechgelage im Gange war, so drang kein Echo davon in diese Räume.
Sie spürte die Ritter, die an der Tür Wache hielten, und die eingedämmte Hitze ihrer sorgfältig kontrollierten Magie. Ihre Anwesenheit sicherte die Schutzzauber um den Herzog. Nichts konnte hereingelangen, nichts konnte ihn verletzen.
Und dennoch nahm Averils Beklommenheit eher zu als ab. Das Lampenlicht schimmerte in den Leuchten aus Glas und Emaille, die von den Deckenbalken hingen und sich vor den Fensterscheiben drehten. Neben dem Bett des Herzogs war der dunkle Glanz seines Seherspiegels auszumachen. War er schon unbedeckt gewesen, als sie das Zimmer betreten hatte? Der Spiegel war für gewöhnlich von einem Seidenschleier verhüllt: Er lag zusammengeknittert am Fuße des Sockels.
Es war weder weise noch sicher, einen solchen Spiegel offen dem Äther auszusetzen. Averil versuchte, sich zu erheben, aber die Stille war zu schwer. Es war, als müsste sie einen Berg stemmen.
Die Oberfläche des Spiegels schimmerte wie Öl. In der spärlich beleuchteten Dunkelheit und der bedrückenden Stille schien es, als würde sich in seinem Inneren etwas bewegen.
Averil strengte jeden Muskel und Knochen ihres Körpers an und bündelte ihre gesamte Magie, um aufzustehen und den Spiegel mit dem Seidenschleier zu verhüllen. Angst stieg in ihr hoch und drohte, sie zu ersticken. Das Ding im Spiegel hatte fast schon eine Form angenommen, die sie beinahe wiedererkannte.
Die Oberfläche des Spiegels wölbte sich und quoll hervor wie geschmolzenes Glas, das vom Stab des Handwerkers rinnt.
Das Ding schien sich weiter zu winden und sich auf den Herzog zuzubewegen. Averil hatte keinen Zauber, den sie aussprechen konnte, und keine Macht, den Schutz zu verstärken, der jeden Feind fernhielt, bis auf denjenigen, der durch den Spiegel kam. Sie schnappte nach Luft. Sie war dabei zu ertrinken, zu sterben.
Der Raum explodierte in Licht und Feuer. Der Bann, der auf Averil gelastet hatte, brach. Sie fuhr hoch. Der Spiegel schwankte auf seinem Sockel. Er durfte nicht zerbrechen, denn dadurch würde die Magie des Feindes freigesetzt werden. Averil stürzte auf ihn zu.
Starke Hände ergriffen die ihren, aber nicht um sie aufzuhalten. Starke Magie umgab sie. Sie formte und festigte ihre eigene Magie und stärkte ihren Widerstand.
Nie zuvor hatte sie etwas Derartiges erlebt, und dennoch schien es ihr vollkommen richtig, so als wäre es vorherbestimmt. Ihr Herz wusste, wie sie es formen und anwenden musste, um den Herzog zu schützen und den Bann zu brechen, der zwischen ihnen schwebte.
»Noch nicht«, sagte jemand. Sie schaute in Gereints Augen. Hatte sie vorher gewusst, wie klar sie waren? Sie waren grau, was an Regen und Stahl und geschliffenen Feuerstein denken ließ, aber sie hatte darin nie etwas anderes gesehen als Wärme.
Heute Nacht waren Feuerstein und Stahl zusammengetroffen. Aus dem Feuer heraus sagte er: »Fang es ein. Halte es fest. Wir müssen wissen, woher es kommt.«
Es war ein einfacher Zauber, und mit seiner Kraft gelang es mühelos. Das Machwerk wand sich, löste sich vom Spiegel, verfehlte jedoch sein Ziel. Averil und Gereint hielten es zwischen sich, als wäre es von Kristall umschlossen. Ihre Hände umklammerten sich, die Finger waren fest verwoben. So war ihre Magie verbunden, seine die Matrix, ihre das feuergeborene Glas, schimmernd und machtvoll.
Das Machwerk des Feindes streckte sich und wuchs und wurde durchsichtig. Wie durch ein Fenster konnten sie darin den Ort sehen, an dem es gemacht worden war. Zwei Männer standen da: einer dünn und hager vom Alter, der andere noch eher jung als alt, mit langem, üppig gelocktem Bart- und Haupthaar.
Averil schnappte
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