Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
Der Himmel stürzte nicht ein; keine Scharen von Harpyien griffen sie an. Er drehte sich zu den anderen um. »Die sind für uns«, sagte er. »Nehmt genug, um Euren Hunger zu stillen, dann noch ein paar fürs Abendessen. Lasst den Rest hängen.«
Sie sahen sich an. Riquier ritt tapfer voran, obwohl sein Gesicht ein wenig blass war und seine Hand leicht zitterte. Als er seinen Helm mit Früchten gefüllt und es überlebt hatte, wagten sich die anderen an die Bäume, bei denen er gewesen war. Sie waren bemüht, nicht allzu gierig zu sein.
Gereint stieg ab, lockerte Halfter und Trense und band die Zügel hoch. Das Pferd senkte sogleich den Kopf und begann, das Gras unter den Bäumen zu fressen.
Er lehnte sich mit dem Rücken an einen von der Sonne gewärmten Baumstamm. Der Apfel, den er langsam Bissen für Bissen aß, schmeckte nach Sonnenschein. Wie das Wasser dieses Landes nährte er ihn besser als irgendeine andere Frucht aus der Welt der Sterblichen. Er war wie Fleisch und Getränk zusammen und machte ihn satt.
Das Gemurmel der Ritter war sehr leise, dennoch hörte er es. Averil schien nichts davon mitzubekommen oder sich nicht daran zu stören. Es sah aus, als würde sie schlafen, wie sie so dasaß in einem Kreis von Rittern, das Gesicht zum Himmel gewandt. Ihre Augen waren geschlossen, die Hände lagen im Schoß, die Handflächen nach oben. Die Erde war tief in ihrem Innersten verwurzelt. Ihre Magie begann sich zu entfalten.
Gereints Herz zog sich zusammen. Zum ersten Mal, seit Averil sie in dieses Land gebracht hatte, verspürte er Angst. Er schlüpfte zwischen den Wachen hindurch, ohne sich um ihre argwöhnischen Blicke zu kümmern, und kniete sich vor sie hin. Es war gefährlich, sie beim Ausführen eines magischen Werks zu stören, aber er ergriff ihre Hände und fixierte sie mit strengem Blick. »Hört auf. Was auch immer Ihr da tut, hört sofort damit auf!«
Sie blinzelte, schnappte nach Luft und erschauerte. Ihre Augen öffneten sich; sie starrte ihn an, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen.
Er nahm seine ganze Kraft zusammen und schleuderte ihr ihren Namen entgegen. »Averil!«
Wiedererkennen keimte auf. Ihr Körper erzitterte. Ihr Atem ging zischend. »Ich … Ich muss …«
»Nicht allein«, sagte er finster. »Nicht ohne mich.«
»Es ist wilde Magie«, sagte sie. »Ich kann dich nicht —«
»Und warum bringt Ihr Euch in Gefahr?«
Ihre Lippen wurden schmal. »Ich muss es tun. Ich habe uns hergebracht. Ich muss uns hier lebend herausbringen.«
»Ihr seid es, auf die es ankommt«, sagte er. »Ihr könnt Euch nicht selbst opfern.«
»Es gibt niemanden sonst«, sagte sie. »Niemand anderer kann —« »Ich kann es«, sagte Gereint. »Wir können es.« »Dies ist nicht die Magie, die wir kennen«, sagte sie. »Sie ist gefährlich.«
»Es ist die Magie, die ich kenne«, sagte er. Er hielt ihre Hände fest umklammert. »Kämpft nicht dagegen an. Denkt an das, was wir getan haben. Wir müssen es zusammen tun, Herrin. Keiner von uns kann es allein.« Sie war am Ende ihrer Kraft. Was sie getan hatte, was sie tun wollte, war der reine Wahnsinn ohne Gereint. Er wusste nicht, warum oder weshalb, er wusste nur, dass es so war.
Er schaute sich um. Die Ritter standen entweder herum oder starrten sie verständnislos an. Selbst die Jüngeren erwiderten seinen Blick mit irritierter Miene. Riquier schwankte ein wenig. Mauritius mochte vielleicht etwas ahnen, aber er schreckte davor zurück. Von Jugend an war ihm eingetrichtert worden, sich von allem fernzuhalten, was nicht an die Orden der Magier gebunden war. Sie mussten sich ändern. Wenn ihnen das nicht gelang, würden sie sterben. Das Land würde sie töten, wenn der König von Lys es nicht schaffte. Gereint biss sich auf die Lippe. Die Früchte dieses Landes hatten ihnen nicht die Augen öffnen können. Zu eng waren sie an Gewohnheiten und Mächte gebunden, die ihnen hier nicht helfen konnten.
Selbst Averil konnte sich nicht von diesen Fesseln befreien, obwohl sie sich, so gut sie konnte, dagegen wehrte. Von Kind an war sie nur auf eine Weise gelehrt worden. Diese Lehre legte ihr nun Steine in den Weg.
»Gebt es mir«, sagte Gereint. »Lasst es los.«
Sie warf den Kopf hin und her. Er war so unverrückbar wie das mächtige Gebirgsmassiv unter ihren Füßen. »Loslassen«, befahl er. »Lasst es los.« Als sie dann doch losließ, kam es für ihn überraschend. Er hatte sich auf einen größeren Widerstand gefasst gemacht; die freigesetzte Woge der
Weitere Kostenlose Bücher