Das Magische Messer
auf.
Sir Charles trat ans Fenster, zog sorgfältig die Bügelfalten seiner Hose hoch und setzte sich bedächtig.
»Du hörst mir besser zu, statt dich so unbeherrscht aufzuführen«, sagte er dann. »Du hast wirklich keine andere Wahl. Das Instrument befindet sich in meinem Besitz und daran wird sich auch nichts ändern. Ich will es haben. Ich bin Sammler. Du kannst spucken, herumtrampeln und schreien, so viel du willst, aber bis du jemanden dazu gebracht hast, dass er dir überhaupt zuhört, habe ich schon längst jede Menge Dokumente, die beweisen, dass ich es gekauft habe. Das ist für mich kein Problem. Und dann bekommst du es nie mehr zurück.«
Will und Lyra schwiegen jetzt beide. Der Mann war noch nicht fertig. Lyra starrte ihn erstaunt an. Sie hatte sich beruhigt und im Zimmer war es ganz still.
»Jedoch gibt es etwas anderes, das ich noch mehr begehre«, fuhr der Mann fort. »Da ich es mir nicht selbst beschaffen kann, schlage ich euch einen Tausch vor. Ihr bringt mir den Gegenstand, den ich haben will, und ich gebe euch das hier zurück – wie habt ihr es genannt?«
»Alethiometer«, sagte Lyra heiser.
»Alethiometer, wie interessant. Aletheia, Wahrheit – und diese Symbole – ja, ich verstehe.«
»Was für einen Gegenstand wollen Sie denn?«, fragte Will. »Und wo ist er?«
»Dort, wo ich nicht hinkann, nur ihr. Ich weiß ganz genau, dass ihr irgendwo einen Durchgang gefunden habt, wahrscheinlich in der Nähe von Summertown, wo ich Lizzie, oder Lyra, heute Morgen abgesetzt habe. Und dass hinter diesem Durchgang eine andere Welt liegt, eine Welt, in der es keine Erwachsenen gibt. Soweit richtig? Tja, und der Mann, der diesen Durchgang gemacht hat, hat ein Messer. Er versteckt sich gegenwärtig in dieser anderen Welt und hat große Angst, wozu er auch allen Grund hat. Wenn er sich dort versteckt, wo ich glaube, befindet er sich in einem alten, steinernen Turm mit einer Tür, die von aus Stein gehauenen Engeln um rahmt wird. Im Torre degli Angeli. Da müsst ihr hin, und wie ihr das macht, ist mir egal, Hauptsache, ich bekomme das Messer. Bringt es mir und ihr könnt das Alethiometer haben. Es würde mir Leid tun, es zu verlieren, aber ich halte mein Wort. Das ist also die Bedingung: Bringt mir das Messer.«
Der Turm der Engel
»Wer ist dieser Mann mit dem Messer?«, fragte Will.
Sie saßen im Rolls-Royce und fuhren durch Oxford, Sir Charles auf dem Beifahrersitz, den Kopf zur Seite gewandt, Will und Lyra hinten. Auch Pantalaimon in Gestalt einer Maus in Lyras Händen hatte sich wieder beruhigt.
»Jemand, der nicht mehr Recht auf das Messer hat als ich auf das Alethiometer«, sagte Sir Charles. »Zu unser aller Leidwesen ist das Alethiometer in meinem Besitz und das Messer in seinem.«
»Woher wissen Sie überhaupt von der anderen Welt?«
»Ich weiß vieles, das ihr nicht wisst. Was habt ihr erwartet? Schließlich bin ich um einiges älter und besser informiert. Es gibt eine ganze Reihe von Durchgängen zwischen dieser Welt und der anderen; wer sie kennt, kann mühelos zwischen den Welten hin- und herpendeln. In Cittàgazze gibt es eine Zunft von Gelehrten, die das ständig getan haben.«
»Sie kommen gar nicht aus dieser Welt!«, sagte Lyra plötzlich. »Sie kommen aus der anderen, stimmt’s?«
Wieder kam ihr irgendetwas seltsam vertraut vor. Sie war fast sicher, dass sie den Mann schon einmal gesehen hatte.
»Nein, stimmt nicht«, sagte er.
»Wenn wir Ihnen das Messer bringen sollen«, sagte Will, »müssen wir mehr über den Mann wissen. Er wird es kaum freiwillig herausrücken.«
»Sicher nicht. Es ist das Einzige, was die Gespenster abhält. Es zu bekommen wird auf keinen Fall leicht sein.«
»Die Gespenster haben vor dem Messer Angst?«
»Sogar sehr.«
»Warum fallen sie nur Erwachsene an?«
»Das brauchst du nicht zu wissen, es tut nichts zur Sache.« Sir Charles wandte sich an Lyra: »Erzähl mir doch von deinem bemerkenswerten Freund hier.«
Er meinte Pantalaimon. Und als er das sagte, begriff Will auf einmal, dass die Schlange, die sich im Ärmel des Mannes versteckte, auch ein Dæmon war und dass Sir Charles aus Lyras Welt kommen musste. Er fragte nur nach Pantalaimon, um sie abzulenken; demnach hatte er nicht bemerkt, dass Will seinen Dæmon gesehen hatte.
Lyra nahm Pantalaimon hoch und drückte ihn an die Brust, und Pantalaimon verwandelte sich in eine schwarze Ratte, schlang seinen Schwanz um ihr Handgelenk und starrte Sir Charles aus roten Augen
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