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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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kam er wieder herunter. Lyra seufzte erleichtert und atmete tief durch wie jemand, der fast ertrunken wäre. Will runzelte verblüfft die Stirn.
    »Es ist so anstrengend«, erklärte sie. »Wenn dein Dæmon sich von dir entfernt, tut das weh …«
    »Entschuldigung. Konntest du etwas sehen?«
    »Eine Treppe«, sagte Pantalaimon, »eine Treppe und ein dunkles Zimmer. An der Wand hängen Schwerter, Speere und Schilde, wie in einem Museum. Und ich habe den Mann gesehen. Er … tanzte.«
    »Tanzte?«
    »Er bewegte sich hin und her … fuhr mit der Hand durch die Luft. Oder als würde er gegen etwas Unsichtbares kämpfen … Ich sah ihn nur durch eine offene Tür, nicht deutlich genug.«
    »Vielleicht kämpfte er gegen ein Gespenst?«, überlegte Lyra.
    Doch sie konnten nur Vermutungen anstellen, deshalb gingen sie weiter. Hinter dem Turm umschloss eine hohe, oben mit Glassplittern übersäte Steinwand einen kleinen Kräutergarten, dessen rechteckige Beete um einen Brunnen angeordnet waren (Pantalaimon war auf die Mauer geflogen, um nachzusehen), und auf der anderen Seite führte eine Gasse sie wieder auf den Platz zurück. Die Fenster des Turms waren klein und tief in die Mauer eingelassen wie Augen unter einer gerunzelten Stirn.
    »Wir müssen vorne hinein«, sagte Will. Er ging die Stufen hinauf und drückte die Tür auf. Die schweren Scharniere knarrten und Sonnenlicht fiel nach drinnen. Er machte einen Schritt hinein, und als er niemand sah, ging er weiter. Lyra folgte dicht hinter ihm. Der Boden bestand aus in jahrhundertelangem Gebrauch glatt getretenen Steinfliesen, die Luft war kühl.
    Will sah eine Treppe, die nach unten führte, und stieg hinab, bis er in einen großen Raum mit niedriger Decke sehen konnte, an dessen einem Ende ein gewaltiger Schmelzofen stand; der Ofen war nicht in Betrieb, doch die verputzten Wände waren rußgeschwärzt. Es war niemand da, deshalb ging Will wieder zur Eingangshalle hoch. Lyra hatte einen Finger auf die Lippen gelegt und sah nach oben.
    »Ich höre ihn«, flüsterte sie. »Ich glaube, er führt Selbstgespräche.«
    Will lauschte angestrengt und hörte dann auch eine Art leises Singen, gelegentlich unterbrochen von lautem Lachen oder einem kurzen Wutschrei. Es klang wie die Stimme eines Verrückten.
    Er blies die Wangen auf und begann die Treppe hinaufzusteigen, eine gewaltige, breite Treppe aus schwarzen Eichenbalken, deren Stufen so abgetreten waren wie die Fliesen, doch so stabil, dass sie nicht knarrten. Das Licht wurde schwächer, je höher sie kamen, denn die tief eingelassenen kleinen Fenster an den Treppenabsätzen waren die einzige Beleuchtung. Sie stiegen in den ersten Stock hinauf, blieben stehen, lauschten und stiegen weiter. Zur Stimme des Mannes kam jetzt das Geräusch rhythmischer Schritte, aus einem Raum auf der anderen Seite des Treppenabsatzes, dessen Tür angelehnt war.
    Auf Zehenspitzen ging Will hin und drückte die Tür einige Zentimeter auf, um hineinsehen zu können.
    Er blickte in ein großes Zimmer, dessen Decke dick mit Spinnweben bedeckt war. An den Wänden standen Regale mit Büchern, deren Einbände zerrissen waren oder sich in der Feuchtigkeit gewellt hatten. Einige waren aus den Regalen gefallen und lagen offen auf dem Boden oder auf den großen, staubigen Tischen, andere waren unordentlich in die Regale zurückgestopft worden.
    In der Mitte des Raumes sah er einen jungen Mann, der – tanzte. Pantalaimon hatte Recht gehabt, genauso sah es aus. Er stand mit dem Rücken zur Tür, machte einen Ausfallschritt nach rechts, dann einen nach links, und fuchtelte währenddessen mit der Hand vor sich herum, als bahne er sich einen Weg durch unsichtbare Hindernisse. In dieser Hand hielt er ein Messer, das nicht weiter bemerkenswert aussah, ein Messer mit einer matten, rund zwanzig Zentimeter langen Klinge. Er stieß damit zu, machte einen seitlichen Schnitt, tastete mit der Spitze durch die Luft und stach nach oben und unten ins Leere.
    Der Mann machte eine Bewegung, als wolle er sich um  drehen, und Will zog sich zurück. Er legte einen Finger auf die Lippen, bedeutete Lyra, ihm zu folgen, und stieg ihr vo  raus die Treppe zum nächsten Stock hinauf.
    »Was tut er?«, flüsterte sie.
    Will beschrieb es, so gut er konnte.
    »Er klingt wie ein Verrückter«, sagte Lyra. »Ist er dünn und hat Locken?«
    »Ja, rote Haare, wie die von Angelica. Er sieht wirklich verrückt aus. Ich weiß nicht, aber das alles kommt mir noch seltsamer vor, als Sir Charles

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