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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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sagte. Lass uns noch oben nach  sehen, bevor wir ihn ansprechen.«
    Lyra ließ ihn zum obersten Stock vorausgehen. Dort war es viel heller, da eine weiß gestrichene Treppe zum Dach hinaufführte, einer einem Gewächshaus ähnlichen Konstruktion aus Holz und Glas. Sogar am Fuß dieser Treppe spürte man die Hitze, die das Dach absorbierte.
    Und als sie da standen und hinaufsahen, hörten sie von oben ein Stöhnen.
    Sie fuhren zusammen, denn sie waren überzeugt gewesen, dass im Turm nur der Mann mit den Locken war. Pantalaimon war so erschrocken, dass er sich auf der Stelle von einer Katze in einen Vogel verwandelte und an Lyras Brust flog. Will und Lyra merkten, dass sie einander an der Hand gefasst hatten. Langsam ließen sie sich wieder los.
    »Lass uns nachsehen«, flüsterte Will. »Ich gehe voraus.«
    »Eigentlich sollte ich vorausgehen«, flüsterte Lyra, »weil es doch meine Schuld ist.«
    »Weil es deine Schuld ist, tust du, was ich sage.«
    Sie verzog den Mund, folgte ihm aber gehorsam.
    Will kletterte in Richtung Sonne hinauf. Unter der gläsernen Konstruktion war es blendend hell und so heiß wie in einem Gewächshaus, Will konnte fast nichts sehen und bekam kaum noch Luft. Er fand einen Türknopf, drehte ihn und trat schnell hinaus, die Hand über die Augen haltend, um sie vor der Sonne zu schützen.
    Er stand auf einem Dach aus Blei, umschlossen von einer Brüstung mit Zinnen. Die Glaskonstruktion befand sich in der Mitte, und von dort fiel das Dach nach allen Seiten leicht ab zu einer steinernen Rinne innerhalb der Brüstung. In den Stein waren rechteckige Löcher gehauen, durch die das Regenwasser ablaufen konnte.
    Auf dem Bleidach lag in der prallen Sonne ein alter, weiß  haariger Mann. Sein Gesicht war voller Beulen und blauer Flecken, ein Auge war zugeschwollen, und als sie näher kamen, sahen sie, dass seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren.
    Als er sie kommen hörte, stöhnte er wieder und versuchte sich wegzudrehen, um sich zu schützen.
    »Ist ja gut«, sagte Will leise, »wir tun Ihnen nichts. Hat der Mann mit dem Messer sie so zugerichtet?«
    »Mmm«, stöhnte der alte Mann.
    »Binden wir ihn los. Er ist nicht richtig gefesselt …«
    Das Seil war ungeschickt und hastig verknotet worden und löste sich bald, als Will sich an ihm zu schaffen machte. Sie halfen dem Mann aufzustehen und führten ihn in den Schatten der Brüstung.
    »Wer sind Sie?«, fragte Will. »Wir wussten nicht, dass hier zwei Leute sind. Wir glaubten, es sei nur einer da.«
    »Giacomo Paradisi«, murmelte der Alte durch seine abgebrochenen Zähne. »Ich bin der Träger, niemand sonst. Der junge Mann hat es mir gestohlen. Es gibt immer wieder Narren, die wegen des Messers alles riskieren. Aber der hier ist vollkommen verzweifelt. Er wird mich umbringen …«
    »Das wird er nicht«, sagte Lyra. »Was ist ein Träger? Was bedeutet das?«
    »Ich trage das Magische Messer im Namen der Zunft Wo ist er?«
    »Unten«, sagte Will. »Wir sind an ihm vorbeigegangen, er hat uns nicht gesehen. Er fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum …«
    »Um einen Durchgang zu öffnen. Das wird er nicht schaffen. Wenn er –«
    »Achtung«, sagte Lyra.
    Will drehte sich um. Der junge Mann stieg gerade zum Glasdach hinauf. Er hatte sie noch nicht gesehen, aber auf dem Dach konnte man sich nirgends verstecken, und als sie sich aufrichteten, sah er die Bewegung und fuhr herum.
    Augenblicklich verwandelte Pantalaimon sich in einen Bären und richtete sich auf die Hinterbeine auf. Nur Lyra wusste, dass er den anderen Mann nicht berühren konnte. Dieser hielt tatsächlich einen Augenblick verblüfft inne, aber Will merkte, dass er den Bären nicht wirklich registrierte. Er war verrückt. Die roten Locken hingen ihm wirr um den Kopf, sein Kinn war speichelfeucht, und das Weiß seiner Au  gen war rund um die Pupillen zu sehen.
    Und er hielt das Messer in der Hand, und sie waren voll  kommen unbewaffnet.
    Will machte ein paar Schritte, weg von dem Alten, und duckte sich, bereit, sich auf den jungen Mann zu stürzen oder ihm auszuweichen.
    Der Mann lief auf ihn zu und hieb mit dem Messer nach ihm, links, rechts, links, immer näher, und Will musste zu  rückweichen, bis er in einer Ecke der Brüstung in der Falle saß.
    Lyra schlich von hinten an den Mann heran, in der Hand das Seil von der Fessel. Will sprang nach vorn, wie er auf den Mann bei sich zu Hause zugesprungen war, mit derselben Wirkung: Sein Gegner stolperte überrascht

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