Das Magische Messer
Stehlampe neben dem Kamin, deshalb war der Schatten klar umrissen, doch blieb er nie so lange ruhig, dass Will ihn er kennen konnte.
Dann passierten zwei Dinge. Zuerst erwähnte Sir Charles das Alethiometer.
»Dieses Instrument zum Beispiel«, fuhr er fort, »macht mich wirklich neugierig. Vielleicht kannst du mir sagen, wie es funktioniert.«
Und er legte das Alethiometer auf das achteckige Tischchen neben dem Sofa. Will sah es deutlich vor sich, er konnte es fast berühren.
Und noch etwas geschah: Der Schatten hörte auf, sich zu bewegen. Das Wesen, zu dem er gehörte, musste auf der Lehne von Mrs. Coulters Stuhl sitzen, denn das Licht, das es beleuchtete, warf seinen Schatten an die Wand dahinter. In dem Augenblick, in dem es aufhörte, sich zu bewegen, erkannte Will, dass es sich um den Dæmon der Frau handeln musste, einen zusammengekauerten Affen, der den Kopf suchend hin und her drehte.
Will hörte, wie Lyra hinter ihm erschrocken einatmete. Auch sie hatte den Affen entdeckt.
Leise drehte er sich um und flüsterte: »Geh zum anderen Fenster zurück, klettere hindurch und komm durch den Gar ten. Nimm ein paar Steine und wirf sie ans Fenster des Arbeitszimmers. Das lenkt sie für einen Moment ab und ich kann das Alethiometer holen. Dann lauf sofort wieder zum Fenster zurück und warte dort auf mich.«
Lyra nickte und rannte geräuschlos über das Gras weg. Will drehte sich wieder um.
»… der Rektor von Jordan College ist ein alter Narr«, sagte die Frau gerade. »Ich habe keine Ahnung, warum er es ihr geschenkt hat; man muss sich jahrelang intensiv einarbeiten, um überhaupt etwas damit anfangen zu können. Aber jetzt musst du mir wieder einige Fragen beantworten, Carlo. Wie bist du an das Instrument gekommen? Und wo ist Lyra?«
»Ich beobachtete, wie sie es in einem Museum in der Stadt las. Natürlich erkannte ich sie, ich hatte sie ja damals auf deiner Cocktailparty kennen gelernt, und ich begriff, dass sie einen Durchgang gefunden haben musste. Und dann wurde mir klar, dass ich sie für meine eigenen Zwecke einspannen konnte. Als ich ihr also ein zweites Mal begegnete, habe ich es gestohlen.«
»Du bist sehr offen.«
»Warum darum herumreden? Wir sind beide erwachsen.«
»Und wo ist sie jetzt? Was hat sie getan, als sie entdeckte, dass es weg war?«
»Sie besuchte mich, was sie einigen Mut gekostet haben muss.«
»An Mut fehlt es ihr nicht. Und was willst du mit dem Alethiometer anfangen? Du hast von bestimmten Zwecken gesprochen.«
»Ich sagte ihr, sie könne es wiederhaben, vorausgesetzt, sie beschafft mir etwas anderes – etwas, an das ich selbst nicht komme.«
»Und das wäre?«
»Ich weiß nicht, ob du –«
In diesem Augenblick schlug der erste Stein an das Fenster des Zimmers.
Das Glas zerbrach mit lautem Klirren, und während die beiden Erwachsenen noch wie erstarrt zum Fenster blickten, war der Schatten des Affen bereits von der Stuhllehne gesprungen. Ein zweiter Schlag ertönte und dann noch einer, und Will spürte, wie das Sofa sich bewegte, als Sir Charles aufsprang.
Er beugte sich vor, schnappte das Alethiometer von dem Tischchen, steckte es ein und schlüpfte durch das Fenster zu rück. Sobald er auf dem Gras von Cittàgazze stand, tastete er in der Luft nach den unsichtbaren Rändern des Fensters; dabei zwang er sich zur Ruhe und dazu, langsam zu atmen, die ganze Zeit bewusst, dass nur wenig Meter vor ihm eine schreckliche Gefahr drohte.
Dann ertönte ein Kreischen, das weder von einem Menschen noch von einem Tier stammte und schlimmer war als beides jemals sein konnte, und er wusste sofort, dass es von dem widerwärtigen Affen kam. Inzwischen hatte er den größten Teil des Fensters geschlossen, aber ein kleiner Spalt in Brusthöhe stand noch offen – und dann sprang er zurück, denn durch diesen Spalt erschien eine kleine, beharrte goldene Hand mit schwarzen Fingernägeln, gefolgt von einem Gesicht wie ein Alptraum. Der goldene Affe hatte die Zähne gefletscht, seine Augen glitzerten, und er strahlte eine so konzentrierte Bösartigkeit aus, dass es Will durch Mark und Bein ging.
Eine Sekunde mehr, und der Affe wäre durchgesprungen und alles wäre zu Ende gewesen; aber Will hielt noch immer das Messer in der Hand. Er zückte es und schnitt damit links, rechts über das Gesicht des Affen – oder über die Stelle, wo das Gesicht gewesen wäre, wenn der Affe sich nicht im letzten Moment zurückgezogen hätte. Will packte die Ränder des offenen Spalts und
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