Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
ich tue nichts anderes mehr, das verspreche ich dir …«
    Sie half ihm auf, und langsam gingen sie durch den Garten auf das große, weiß im Mondlicht schimmernde Haus zu. 

Der Schamane
     
     

    Als Lee Scoresby in der Hafenstadt an der Mündung des Jenissei ankam, stellte er fest, dass der ganze Ort in Aufruhr war: Fischer versuchten verzweifelt, ihren mageren Fang von Fischen einer unbekannten Art an die Konservenfabriken zu verkaufen, Schiffseigner fluchten über die Hafengebühren, die die Behörden erhoben hatten, um mit dem Hochwasser fertigzuwerden, und Jäger und Fallensteller bevölkerten die Stadt, weil sie in den tauenden Wäldern, deren Tiere sich völlig anormal verhielten, nichts mehr zu tun fanden.
    Es würde schwierig sein, auf den Straßen ins Landesinnere zu gelangen, so viel stand fest. Denn die Straßen, die zu normalen Zeiten lediglich geräumte Strecken gefrorenen Bodens gewesen waren, waren jetzt, wo sogar der Dauerfrostboden taute, ein einziger Sumpf aus aufgewühltem Matsch.
    Lee stellte also seinen Ballon und seine Ausrüstung in einem Speicher unter, mietete von dem ihm verbliebenen, stark geschrumpften Gold ein Boot mit einem Außenbordmotor, kaufte einige Kanister Treibstoff und verschiedene Vorräte und brach dann den Hochwasser führenden Fluss hinauf auf.
    Er kam zunächst nur langsam voran, nicht nur aufgrund der starken Strömung, sondern auch wegen der vielen Dinge, die im Wasser schwammen: Baumstämme, Büsche, ertrunkene Tiere und einmal sogar die aufgedunsene Leiche eines Mannes. Lee steuerte sorgfältig, und er musste den Motor auf Hochtouren laufen lassen, um überhaupt voranzukommen.
    Sein Ziel war das Dorf von Grummans Stamm. Als Orientierung diente ihm lediglich die Erinnerung an den Flug über dieses Gebiet, den er einige Jahre zuvor gemacht hatte, aber diese Erinnerung wenigstens war gut, und so hatte er kaum Schwierigkeiten, sich in dem rasch dahinströmenden Wasser zu orientieren, auch wenn das Ufer zum Teil in den milchig  braunen Fluten verschwunden war. Die ungewohnte Wärme hatte auch die Insekten verstört, und um Lee tanzte fortwährend ein Schwärm kleiner Mücken. Lee schmierte Gesicht und Hände mit Stechapfelsalbe ein und rauchte beißende Zigarren, um sie einigermaßen in Schach zu halten.
    Hester saß wortkarg am Bug, die langen Ohren flach an den knochigen Rücken angelegt, die Augen schmale Schlitze. Lee war ihr Schweigen gewohnt und sie seines. Sie redeten nur, wenn es notwendig war.
    Am Morgen des dritten Tages bog Lee in einen kleinen Fluss ein, der hier in den Hauptstrom mündete und von einer flachen Bergkette kam, die eigentlich tief verschneit hätte sein müssen, jetzt aber braune Flecken und Streifen aufwies. Schon bald strömte der Fluss zwischen niedrigen Pinien und Kiefern dahin, und nach wenigen Kilometern kamen sie an einen großen runden Felsen, der ungefähr so hoch wie ein Haus war. Dort steuerte Lee ans Ufer und vertäute das Boot.
    »Hier war einmal ein Landungssteg«, sagte er zu Hester. »Erinnerst du dich an den alten Seehundjäger in Nowaja Semlja, der uns davon erzählte? Der Steg muss jetzt zwei Meter unter Wasser sein.«
    »Hoffentlich haben sie wenigstens das Dorf hoch genug gebaut«, sagte Hester und sprang an Land.
    Bereits eine halbe Stunde später stellte Lee seinen Schulter  sack neben dem Holzhaus des Dorfhäuptlings ab und begrüßte die Dorfbewohner, die von allen Seiten herbeigeeilt kamen. Dazu benutzte er die Geste, die überall im Norden Freundschaft bedeutete: Er legte sein Gewehr vor seine Füße nieder.
    Ein alter sibirischer Tatar, dessen Augen im Geflecht der Runzeln kaum zu erkennen waren, legte seinen Bogen daneben. Sein Dæmon, ein Marder, streckte schnüffelnd die Nase zu Hester hin, die als Antwort mit einem Ohr zuckte. Dann sprach der Häuptling.
    Lee antwortete, und sie probierten ein halbes Dutzend Sprachen, bis sie eine fanden, in der sie sich verständigen konnten.
    »Ich grüße dich und deinen Stamm«, sagte Lee. »Ich habe einige Blätter Rauchtabak dabei. Sie sind nicht viel wert, aber es wäre mir trotzdem eine Ehre, sie euch schenken zu dürfen.«
    Der Häuptling nickte, und eine seiner Frauen nahm das Bündel in Empfang, das Lee aus seinem Sack zog.
    »Ich suche einen Mann namens Grumman«, sagte Lee. »Ich habe gehört, dass er von diesem Stamm adoptiert wurde. Vielleicht heißt er inzwischen anders, aber er ist Europäer.«
    »Ah«, sagte der Häuptling, »wir haben auf dich

Weitere Kostenlose Bücher