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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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gewartet.«
    Die anderen Dorfbewohner, die sich auf dem schlammigen, in der schwachen Sonne dampfenden Platz in der Mitte der Häuser versammelt hatten, verstanden nicht, was gesagt wurde, sahen aber, wie erfreut der Häuptling war. Erfreut und erleichtert, las Lee in Hesters Gedanken.
    Der Häuptling nickte einige Male.
    »Wir haben dich erwartet«, sagte er noch einmal. »Du kommst, um Dr. Grumman in die andere Welt zu bringen.«
    Lee hob die Augenbrauen, sagte aber nur: »Wie du sagst, Häuptling. Ist er hier?«
    »Folge mir«, sagte der Häuptling.
    Die anderen Dörfler traten respektvoll zur Seite. Da Lee gemerkt hatte, wie ungern Hester durch den Matsch lief, nahm er sie auf den Arm, schulterte seinen Sack und folgte dem Häuptling auf einem Waldweg zu einer zehn Pfeilschüsse vom Dorf entfernten Hütte auf einer Lichtung inmitten eines Lärchenwäldchens.
    Vor der aus einem Holzrahmen errichteten, mit Tierhäuten bedeckten Hütte blieb der Häuptling stehen. Die Hütte war mit Wildschweinhauern und Geweihen von Elchen und Rentieren geschmückt, und dabei handelte es sich offenbar nicht um bloße Jagdtrophäen, da die Zähne und Geweihe zusammen mit getrockneten Blumen und sorgfältig geflochtenen Kiefernzweigen aufgehängt waren, gleichsam als dienten sie einem rituellen Zweck.
    »Wähle deine Worte mit Respekt«, sagte der Häuptling leise. »Er ist Schamane und sein Herz ist krank.«
    Lee spürte plötzlich einen kühlen Schauer auf seinem Rücken, und Hester erstarrte auf seinen Armen, denn sie bemerkten, dass sie die ganze Zeit beobachtet worden waren. Aus einem Spalt zwischen den getrockneten Blumen und den Kiefernzweigen funkelte ihnen ein gelbes Auge entgegen. Es war das Auge eines Dæmons, und als Lee ihn anstarrte, drehte er den Kopf, nahm vorsichtig einen kleinen Zweig in seinen mächtigen Schnabel und zog ihn vor sich wie einen Vorhang.
    Der Häuptling rief etwas in seiner Sprache. Dabei sprach er den Mann mit dem Namen an, den der alte Seehundjäger Lee genannt hatte: Jopari. Wenig später ging die Tür auf.
    Es erschien ein hagerer Mann mit glühenden Augen, der in Tierhäute und Pelze gekleidet war. Seine schwarzen Haare waren von grauen Strähnen durchzogen, sein Unterkiefer sprang energisch vor, und auf seiner Faust saß böse funkelnd sein Dæmon, ein Fischadler.
    Der Häuptling verbeugte sich dreimal, zog sich zurück und ließ Lee mit dem Schamanen und Wissenschaftler allein.
    »Dr. Grumman«, sagte Lee, »ich bin Lee Scoresby. Ich komme aus dem Land Texas und bin von Beruf Aeronaut. Wenn ich mich setzen darf, erzähle ich Ihnen, was mich her  führt. Ich habe doch Recht? Sie sind doch Dr. Stanislaus Grumman von der Berliner Akademie?«
    »Ja«, erwiderte der Schamane. »Und Sie sind aus Texas, sagen Sie. Die Winde haben Sie weit von Ihrer Heimat weggetrieben, Mr. Scoresby.«
    »Das stimmt. Heutzutage wehen seltsame Winde in dieser Welt, Sir.«
    »In der Tat. Ich glaube, in der Sonne ist es warm. In meiner Hütte finden Sie eine Bank. Wenn Sie mir helfen, sie heraus  zutragen, können wir in diesem angenehmen Licht sitzen und uns hier draußen unterhalten. Ich habe auch Kaffee, wenn Sie gerne eine Tasse mittrinken.«
    »Mit Vergnügen, Sir«, sagte Lee und trug die Holzbank nach draußen, während Grumman zum Herd ging und dampfenden Kaffee in zwei Blechnäpfe goss. Er hatte, für Lees Ohren, keinen deutschen Akzent, sondern einen englischen, als komme er aus England. Der Direktor des Observatoriums hatte Recht gehabt.
    Sie setzten sich, Hester bewegungslos und mit schlitzförmigen Augen neben Lee, dann der mächtige Fischadler mit funkelnden Augen, die direkt in die Sonne sahen, und Lee begann. Er erzählte, wie er in Trollesund John Faa, den Herr  scher der Gypter, kennen gelernt hatte, wie sie dann den Bären Iorek Byrnison angeheuert hatten, nach Bolvangar gefahren waren und Lyra und die anderen Kinder befreit hatten. Dann erzählte er, was er auf dem Ballonflug nach Svalbard von Lyra und von Serafina Pekkala erfahren hatte.
    »Sehen Sie, Dr. Grumman, von der Art, wie das Mädchen es beschrieb, hatte ich den Eindruck, dass Lord Asriel die Wissenschaftler mit diesem in Eis eingefrorenen Kopf überrumpelte und so einschüchterte, dass sie gar nicht genau hinsahen. Und deshalb kam mir der Verdacht, Sie könnten noch am Leben sein. Und Sie gelten hier als Experte, Sir. Ich habe überall an der arktischen Küste von Ihnen gehört, wie Sie Ihren Schädel aufbohren ließen, wie Sie sich

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