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Das magische Schwert

Titel: Das magische Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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erfahrener Wahrsager. Deshalb sind wir zu ihm gekommen.«
    »Treb hat recht«, sagte Vulvo mit beruhigender Stimme. »Hab keine Angst.«
    »Wer hat gesagt, dass ich welche hätte«, schoss Neel zurück.
    Vulvo nahm Neels Gesicht in seine öligen Hände. »Sieh mich einfach an und entspanne dich.« Vulvo fuhr mit den Daumen über die Wangenknochen des Jungen. Neel blickte ihn an. Einmal zwinkerte er. Eine Minute verging. Er zwinkerte wieder. Zwei Minuten waren vorbei. Schließlich wurden Neels gelbliche Augen groß und flach wie Münzen. Sein Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck.
    »Schau in den Spiegel, Indraneel von den Lovari.«
    Neel schaute.
    »Was siehst du?«
    »Nichts.« Neels Stimme klang hohl.
    »Bist du sicher? Was siehst du?«
    »Mein Gesicht.«
    »Gut.«
    »Eine blaue Wand. Einen goldenen Vogel.«
    Vulvo schürzte die Lippen. Ohne den Blick von Neel zu wenden, sagte er: »Treb, ich befürchte, dass der Junge einfach nur irgendwelche Bilder sieht. Ich möchte ihn bald aufwecken. Stell deine Fragen.«
    Plötzlich selbst ängstlich, stammelte Treb: »Wo … Indraneel, wo ist der Himmelsglobus?«
    Neel gab keine Antwort.
    Es gab ein unerwartetes Rascheln aus der Ecke, als Tomik sich vorbeugte und auf Romanes fragte: »Wo ist Petra Kronos?«
    »Stopft dem Gadsche das Maul!«, brüllte Treb.

    Tas presste eine Hand auf Tomiks Mund und blickte den Böhmen erschreckt an.
    »London«, intonierte Neel. Dann sagte er auf Englisch: »Cotton.«
    »Was meinst du mit ›Baumwolle‹ und warum sprichst du Englisch?« Treb sprang auf die Füße. »Wo ist der Globus, Neel? Ist er in London?«
    »London. Cotton.«
    »Der Globus oder deine verfluchte Freundin?«, drängte Treb.
    »Genug.«Vulvo gab Neel frei. Der Junge plumpste vornüber, sein Kinn schlug mit einem Knacken auf dem Spiegel auf.
    »Na bitte.« Vulvo hob ihn auf. Neels Kopf hing schlaff herab.
    »Geht es ihm gut?«, fragte Andras besorgt.
    Vulvo sah Treb finster an. »Ich hab doch gesagt, du sollst ihn nicht bedrängen.«
    Trebs Gesicht zog sich vor Scham zusammen. »Ich weiß. Ich hab es nicht so gemeint. Es ist seine Schuld.« Er zog Tomik auf die Beine und schüttelte ihn. »Warum hast du nicht den Mund halten können?«, schnauzte er, nicht darauf achtend, dass er auf Romanes schrie und der Junge völlig verwirrt aussah. »Wenn du Neel verletzt hast, dann werd ch …«
    »Mir geht’s gut«, nuschelte Neel. »Nur benebelt, das ist alles.«
    Treb ließ Tomik fallen.
    »Sieht so aus, als hätte ich jetzt noch eine Beule.« Neel rieb sich das Kinn. »Warum sind nur alle so wild darauf, mein gut aussehendes Gesicht zu verunstalten?«
    Draußen vor Vulvos Haus, gleich unter einem der runden Fenster, lauschte der Ziegenhirt auf das erleichterte Lachen
der Roma. Er glitt von der Mauer weg. Als er sich dann vom Haus der Eule von Sallay entfernte, wurde er mit jedem Schritt schneller.

    »Du bist früh dran.«
    »Ja, Meister Novak.« Der Ziegenhirt trat vor und nahm den Hut ab. Sein Gesicht und die Hände waren mit Walnusssaft gefärbt, um sie den dunkelhäutigen Marokkanern anzupassen, doch seine Gesichtszüge waren europäisch, und er sprach Tschechisch. »Ich habe Neuigkeiten.«
    »Noch eine weitere Piratengeschichte?« Novak seufzte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Wie langweilig. Was hat es für einen Sinn, ein Spion zu sein, und niemand hat ein interessantes Geheimnis? Ich könnte ebenso gut zurück nach Prag fahren.«
    »Ich bin hier, um Euch von etwas sehr Interessantem zu erzählen. Und Prinz Rodolfo wird das auch finden.«
    Meister Novak hatte ein ganz normales Gesicht, eines von der Art, wie man sie wenige Minuten, nachdem man sie gesehen hatte, auch schon wieder vergisst. Doch nun flammten seine Augen vor Eindringlichkeit auf.
    »Ich habe auf dem Markt jemanden über die Mercatorgloben reden hören«, fuhr der Ziegenhirt fort. »Ich hab immer gedacht, die wären bloß ein Gerücht, aber …«
    »Erzähl mir alles.«
    Das tat der Ziegenhirt. »Ich hab sie nicht mehr verstanden, sobald sie Zigeunersprache gesprochen haben, aber das Schiff heißt Pacolet, und seine Seeleute haben den Erdglobus.«
    Novak schürzte die Lippen. »Nur einen Mercatorglobus? Einer ist wertlos. Man muss beide haben, um durch die Spalte zu steuern.«

    »Einer ist besser als keiner«, drängte der Ziegenhirt. »Einen Globus zu haben, bedeutet, dass man dicht davor ist, beide zu besitzen. Und wenn man den Erdglobus hat, kann niemand die Macht der vereinten Globen

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