Das Mal der Schlange
Antwort war ein bitteres Auflachen, „Ich glaube nicht, dass sich Victor zum jetzigen Zeitpunkt darüber Gedanken macht, was nach dem Massaker werden soll. Alles, woran er denkt, ist seine Rache!“
Plötzlich ertönte eine blecherne Stimme aus einem Megaphon. Diejenigen Personen, die das Haus kampflos verlassen wollten, wurden aufgefordert, jetzt herauszukommen. Emmaline hob fragend eine Augenbraue. „Nathaniel und ich mussten erst mit Boykott drohen, bevor Victor zustimmte“, erklärte Adam.
Nathaniels Gesicht war wie Stein, nichts verriet was er dachte oder fühlte, aber in seinem Inneren sah es anders aus. Er fürchtete um Emmalines Leben und fluchte, weil er nichts tun konnte, um das drohende Unheil abzuwenden. Inständig hoffte er, dass möglichst viele Personen das Haus verlassen würden, aber niemand kam der Aufforderung nach.
Zuerst schickte Victor einen Trupp Jäger hinein, die alles erschießen sollten, was sich als schwarz-weiße Zielperson erwies. Schnell hinein, schnell wieder hinaus und das im Wechsel, damit möglichst viele Zeitjäger ihre Zielpersonen sehen konnten. Er versäumte nicht darauf hinzuweisen, dass, sollten auch andere Personen erschossen werden, er die betreffenden Brüder und Schwestern für ihre Alpträume gebührend entschädigen würde.
Nathaniel war fassungslos, als er das hörte, verbiss sich aber einen Kommentar.
Aus dem Haus drangen Schüsse und vereinzelt glaubten sie, Explosionen zu hören. Als endlich einer der Zeitjäger wieder zurück war, erkannte man, dass man den Gegner wohl unterschätzt hatte.
Die Scheiben des Hauses waren allesamt aus schusssicherem Glas, die meisten noch zusätzlich mit Metallverstärkungen. Innen war es stockdunkel, das einzige Licht war das Mündungsfeuer der Gewehre und die explosiven Geschosse, mit denen Tristans Armee auf die Köpfe der Jäger zielte. Aus der ersten Gruppe waren alle Brüder und Schwestern außer dem einen, der zurückgekehrt war, tot. Tristan hatte seine Soldaten gelehrt, wie man aus Jägern Beute machte.
Emmaline sah Victor zu, wie er unbewegt Nachtsichtgeräte ausgab und einen weiteren Trupp hinein schickte, danach noch einen und noch einen. Schließlich befahl er, niemanden zu schonen und alle Söldner zu töten.
Die Verluste der Familien waren immens, aber diejenigen, die lebend wieder aus dem Haus kamen, berichteten auch von vielen Toten auf Tristans Seite. Eine der Schwestern erzählte, dass sich die Prostituierten in einem Zimmer verschanzt hätten und um friedlichen Abzug baten.
„ Sie wollten nicht gehen, als noch Zeit dazu war“, war Victors Antwort, „Jetzt sollen sie mit den anderen sterben!“
„ Nein, Bruder!“, Nathaniel konnte nicht länger schweigen, „Das bist nicht du, der da spricht! Was ist los mit dir? Tötet Victor nun Unschuldige?“
„ Ich gebe die Befehle, Nathaniel“, drohend stieg Victor aus dem Wagen, „Willst du mein Urteilsvermögen in Frage stellen?“
Schnell beeilte sich Adam, dazwischen zu gehen, „Das tut er sicherlich nicht, du bist der Souverän! Aber stell dir die Schlagzeile vor, wenn wir ein ganzes Bordell liquidieren! Dann ist es aus mit unserer Geheimhaltung, so etwas können selbst wir nicht vertuschen! Es würde unser gesamtes Volk ernstlich gefährden.“
Das schien sogar den aggressiven Graham zu überzeugen, denn nun versuchte auch er Victor zur Einsicht zu bewegen. „Lass uns selbst hineingehen, damit wir uns aus erster Hand ein Bild machen können. Danach sollen die Huren abziehen. Was hältst du davon?“
Widerstrebend nickte Victor, „Also gut, macht euch bereit. Emmaline, Nathaniel, Adam – ihr kommt auch mit. Nur wir fünf!“
Nathaniel schien noch etwas sagen zu wollen, aber dazu war keine Gelegenheit mehr, denn Graham lief bereits davon in Richtung Eingang und sie mussten ihm folgen.
Nachdem sie die Türschwelle passiert hatten, klappte Emmaline ihr Nachtsichtgerät herunter. Der Eingangsbereich flimmerte in fluoreszierendem Grün. Sie sah Türen rechts und links zu den Räumen des Erdgeschosses abgehen und am hinteren Ende die Treppe zu den oberen Stockwerken. Neben dem Treppengeländer lag ein toter Körper. Emmaline kannte den Mann nicht, aber auch er war in grünes Licht getaucht.
Neben sich hörte sie Adam fluchen und sah, wie er sein Nachtsichtgerät wieder hoch klappte, „Verdammt!“, zischte er, „Wie soll man seine Zielperson identifizieren, wenn alles Grün ist?“
Auch Nathaniel nahm das Nachtsichtgerät ab und griff nach der
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