Das Mal der Schlange
Schwester“, flüsterte er, dann war er verschwunden.
In Emmalines Hand lag Georgiannas Kette, ein schmales, goldenes Band mit einem tropfenförmigen Diamanten. Sie trug es immer. Der Diamant glänzte rot, denn er war, wie auch die Kette, voll mit getrocknetem dunklem Blut. Sie bemerkte Nathaniels Rückkehr erst, als er seine Hand auf ihre Schulter legte.
„ Wir müssen sofort gehen, es ist etwas Schreckliches geschehen!“
„ Ich weiß“, hauchte sie, „Georgianna ist tot.“
50.
Sie kamen gleichzeitig mit Victor bei seinem Haus an. Es war nicht klar, wer wen verständigt hatte, aber viele der Zeitjäger waren hier und drängten sich vor der Tür.
„ Wartet hier draußen, ich werde zuerst mit Nathaniel, Emmaline und Adam hinein gehen“, seine Stimme war gefasst, aber er sah schrecklich aus.
Von innen öffnete ihnen ein Jäger, dessen Name sie nicht kannte, einer derjenigen, die Victor als Georgiannas Leibwache abgestellt hatte. Einer derjenigen, die offenbar kläglich versagt hatten und die sich noch vor ihm würden verantworten müssen.
Aber zunächst schob er ihn nur unsanft beiseite und trat auf die Terrasse. Er sah die kleine Gruppe von Leuten im hinteren Teil des Gartens. Sie drehten ihm den Rücken zu und starrten auf die Statue, zu der eine breite Blutspur führte.
Georgianna hatte die Statue in Italien gekauft und hierher bringen lassen. Sie war viele hundert Jahre alt und stellte einen lebensgroßen Engel aus weißem Marmor dar. Sie nannte sie immer ihren gefallenen Engel, denn es schien tatsächlich so, als ob er gestürzt wäre. Er kniete auf einem Bein, das andere nach vorne aufgestützt, ähnlich einem Läufer beim Start. Eine Hand hielt auf dem Boden die Balance, die zweite griff an die Stelle über dem Herzen. Über der kauernden Gestalt spannte sich ein riesiges Flügelpaar.
Man konnte nicht sagen, ob das Gesicht männlich oder weiblich war, aber es lag ein Ausdruck von Gram darauf, der Emmaline an die Statue über Danieles Familiengruft erinnerte.
Als Georgianna ihr den Engel bei ihrem letzten Besuch gezeigt hatte, war Emmaline lange staunend davor gestanden, ebenso versunken in seinen Anblick, wie die Gruppe von Jägern, die nun die Aussicht darauf versperrten. Von der Terrasse aus sah man nur die Flügel. Sie glitzerten wie Schnee in der Sonne .
Langsam folgten sie Victor die Stufen hinunter und über den Rasen, die Jäger wichen auseinander, als sie sie kommen hörten.
Es dauerte eine Weile, bis Emmaline begriff, was sie sah. Victor sank stumm auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht.
Georgiannas Körper war an die Statue gebunden, so dass es aussah, als wäre sie der Engel. In der gleichen Haltung kniete sie, sich mit einer Hand ans Herz fassend, die marmornen Flügel schienen aus ihrem Rücken zu wachsen.
Allein ihr Kopf fehlte. Aus Georgiannas zerschnittenem Hals wuchs der harte weiße Marmorkopf des Engels, sich grotesk abgrenzend gegen den blutigen Stumpf.
„ Großer Gott!“, flüsterte Emmaline.
Niemand bewegte sich, alle starrten sie auf das Unfassbare vor ihren Augen.
Es war unglaublich viel Blut an Georgianna und jetzt erst erkannten sie, dass ihre Hand in einem klaffenden Loch in ihrer Brust steckte.
„ Was ist das?“, fragte Nathaniel.
Emmaline wusste es, „Er hat ihr Herz herausgeschnitten.“.
Nathaniel legte den Arm um ihre Schultern, denn sie zitterte am ganzen Körper. „Tristan hat Georgiannas Herz herausgeschnitten. Er sagte, er hätte sich Victors Herz geholt. Georgianna war Victors Herz.“
„ Du hast mit Tristan gesprochen?“, Victor, der die ganze Zeit über wie erstarrt gewesen war, versuchte sich nun aufzurichten. Adam half ihm dabei und stütze ihn.
Emmaline nickte ohne den Blick von Georgianna abzuwenden.
„ Dann bist du der erste Zeitjäger seit langem, der ein Gespräch mit Tristan überlebt hat.“, Victor blickte sich um. Er sah aus, als wäre er mit einem Schlag um Jahre gealtert. „Nehmt sie herunter und bringt sie in die Gruft. Und zerstört den Engel.“, wies er die umstehenden an.
Dann bat er Graham, Nathaniel, Emmaline und Adam in sein Wohnzimmer.
Erschöpft ließ er sich auf einen der Sessel fallen. Emmaline goss ihm Whiskey in ein Glas und gab es ihm.
„ Was hat er noch gesagt?“, fragte Victor tonlos.
„ Er sagte, alles was er will, sind dein Herz und dein Kopf. Und dein Herz hätte er sich schon geholt.“
„ Das hat er“, der Schmerz in Victors Stimme schnürte allen Anwesenden die Kehle zu. Es
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