Das Mal der Schlange
selbst Vorwürfe zu machen! Lebe endlich wieder!“
Er setzte sich zurück und sah sie an.
Emmaline war perplex. „Es war richtig, dich zu schicken. So habe ich es noch gar nicht betrachtet. Ich werde darüber nachdenken.“
„ Denke schnell nach, Schwester.“
„ Das ist nicht alles, nicht wahr? Da ist noch etwas.“
Er nickte und stand auf. „Ich bitte dich, mit mir zu kommen, nach Edinburgh.“
„ Ich kann hier aber nicht weg“, sie schüttelte den Kopf, „Ich habe versprochen ein Auge auf jemanden zu haben.“
„ Auf die Nachkommen deiner Freunde kann die Familie hier aufpassen, das ist kein Problem. Wir brauchen dich in Edinburgh.“
Sie fragte nicht, woher er von Stella und Lilian wusste, er würde es ihr ohnehin nicht sagen.
„ Na gut“, sie klopfte sich das Gras von ihrem Rock, „Wenn es so wichtig ist. Aber nur für ein paar Tage. Und ich will vorher wissen, worum es geht.“
„ Um Nathaniel – anscheinend kann keiner von euch beiden ohne den anderen existieren. Oder ihr habt einfach Spaß daran, euch miserabel zu fühlen. Er ist jedenfalls verschwunden.“
Emmaline fühlte sich, als hätte man ihr einen Faustschlag in den Magen versetzt. „Wieso verschwunden? Seit wann? Und was kann ich tun? Ich habe ihn seit damals in den Fünfzigern nicht mehr gesehen.“
„ Darin liegt meiner Meinung nach das Problem. Ich werde dir unterwegs alles erzählen.“
Sie verließen den Hyde Park durch den nächstgelegenen Ausgang und stiegen in Victors Wagen. Nachdem sie in Emmalines Haus ein paar Sachen für die Reise geholt hatten, schlugen sie den Weg zum Motorway ein.
Es hatte in Emmalines Leben keine Zeit gegeben, in der sie nicht an Nathaniel gedacht hatte. Ohne ihn fühlte sie sich nie vollständig, nie glücklich.
Sie erinnerte sich gut an die letzten Worte, die er zu ihr gesagt hatte: „Ich bitte dich, mich nicht mehr zu suchen, so lange du nicht vorhast, bei mir zu bleiben. Für immer.“
Zwei Dinge hatten sie davon abgehalten. Zum einen fühlte sie sich, als ob sie Daniele verraten würde und schämte sich für die Gefühle, die Nathaniel in ihr auslöste, seit dem Tag an Alastairs Brunnen. Sie hatte Daniele aufrichtig geliebt - aber Nathaniel eben noch mehr. Wenn sie damals nicht weggelaufen wäre, wenn sie großzügiger gewesen wäre und ihm verziehen hätte, wäre niemals Platz in ihrem Herzen gewesen für einen anderen Mann. Es war in Emmalines Augen nicht normal, zwei Männer gleichzeitig zu lieben und es hatte nur geschehen können, weil sie sich absichtlich von Nathaniel distanziert hatte. Die beiden waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Daniele war wie die Sonne gewesen, hell und strahlend, um die sich ihr Leben gedreht hatte. Wenn sie an ihn dachte, hörte sie sein Lachen, sah sie seine zwinkernden Augen und allein der Gedanke an ihn, ließ sie lächeln. Er war damals der perfekte Mann für sie gewesen, ein Geschenk des Himmels, mit seiner Stärke und seinem Optimismus. Er hatte sie gerettet und stark gemacht und sie respektierte seine Entscheidung, ihren Weg nicht weiter teilen zu wollen. Stattdessen hatte er den Tod gewählt – und die Unschuld.
Eine Unschuld, die sie freiwillig abgelegt hatte - auch um bei Nathaniel bleiben zu können. Sie war zum Mörder geworden, nicht nur um sich ihres gewalttätigen Ehemannes zu entledigen, sondern um so zu werden, wie Nathaniel.
Liebte sie Nathaniel deshalb mehr, als Daniele sie geliebt hatte? Immerhin war er diesen letzten Schritt nicht gegangen, der sie für immer vereint hätte. Emmaline wusste, wäre Nathaniel an Danieles Stelle gewesen, er wäre nicht freiwillig gestorben, sondern ein Zeitjäger geworden. Er hätte sie niemals aufgegeben.
Der andere Grund, weswegen sie nicht sofort nach Massimos Ermordung zu ihm gegangen war lag darin, dass sie sich zwar nun ihrer Gefühle für ihn absolut sicher war – aber umgekehrt nicht wusste, ob Nathaniel sie noch liebte. Zuerst hatte er sie verletzt, dann hatte sie ihn noch mehr verletzt. Vielleicht war einfach zu viel passiert. Vielleicht war er längst mit einer anderen Frau zusammen.
Emmaline hatte in den letzten Jahren ihr Gehirn gequält mit allerlei Spekulationen – aber am Ende des Tages hatte sie schlichtweg nicht den Mut gehabt, sich Nathaniel zu stellen, aus Angst, er könnte sie zurückweisen. Mit Wehmut lebte es sich leichter, als mit Ablehnung.
Nachdem sie eine lange Zeit schweigend gefahren waren, unterbrach Victor Emmalines Gedanken.
„ Danke, dass du
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