Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
ging’s um den Hanf im Kofferraum. Mohammed Arfi und sein Kumpel könnten ihn von einer versteckten Hanfplantage gestohlen haben. Und das war die Rache.«
»Manchmal macht man es sich auch viel zu kompliziert«, sagte Jacques. »Neunzig Prozent der Mordfälle haben einen familiären Hintergrund.«
»Ich bin da vorsichtig, was das Motiv betrifft. Hast du noch im Kopf, was hinter dieser Mordserie in Deutschland steckte? Ich weiß nicht, neun oder zehn Morde an Türken und Griechen. Und eine deutsche Polizistin. Da vermuteten alle, Polizei, Geheimdienste, Medien, es handele sich um Mafia-Morde. Was war’s? Die Taten einer rechtsradikalen Minigruppe. Wir dürfen uns nicht zu schnell auf etwas festlegen. Deshalb werden wir in alle Richtungen ermitteln. Da ist an allererster Stelle mal der Hanf. An den Schnittstellen konntest du sehen, der war erst am Tag zuvor geerntet worden. Vielleicht gibt es einen Grund, der in der Banlieue-Vergangenheit von Mohammed Arfi steckt. Vielleicht hat er da gelernt, mit Drogen zu handeln? Wundern würde es mich nicht. Weiß der Teufel. Islamismus? Die Frau trug ein Kopftuch. Und Rechtsradikale gibt es inzwischen auch bei uns genug. Ich schließe wirklich nichts aus, selbst das nicht, was mir noch nicht eingefallen ist.«
»Als Erstes müssen wir wissen, wer dieser Mohammed Arfi war«, sagte Jacques. »Aber meinst du nicht, dass vieles für den Hanf spricht?«
»Das wäre auch für mich die erste Spur. Aber nicht die einzige«, sagte Jean Mahon.
Aber als der Kommisar den Korken aus der Flasche Bruichladdich ziehen wollte, winkte der Untersuchungsrichter noch einmal ab. Es war schon nach acht Uhr abends.
»Ich habe noch ein paar Sachen im Büro zu erledigen«, sagte Jacques, »und dann eine späte Verabredung.«
Als Kommissar Jean Mahon ihn mit einem Schmunzeln ansah, reagierte Jacques schroff. Er schüttelte den Kopf, atmete laut und verdrehte die Augen nach oben.
»Mit Jérôme. Nicht, was du wieder denkst!«
Margaux und Kalila
K alila hieß das kleine Mädchen. Das herauszufinden war nicht schwer gewesen. Margaux hatte die Fotos unter die Lupe genommen, das Nummernschild des Wagens an Oliver, einen pfiffigen Rechercheur ihrer Zeitung, durchgegeben und schon zwanzig Minuten später Namen und Adresse des Wagenhalters erfahren. Mohammed Arfi. Als Margaux sich lobend bedankte, sagte der Rechercheur lachend, es koste die Zeitung immerhin dreieinhalb Millionen. Wie bitte? Bist du verrückt geworden? Alte Centimes, mach dir nicht in die Hose. Alte Centimes? Ja, ganz alte. 3 , 5 Millionen Centime geteilt durch hundert macht 35 000 alte Franc, durch hundert macht 350 neue Franc, durch sieben macht fünfzig Euro. Okay? Idiot. Wer rechnet denn heute noch so? Meine Mutter, wenn sie klagt, wie teuer es auf dem Markt geworden ist und mein Vater, wenn er klagt, wie viel Steuern der Staat ihm wieder aufgedrückt hat. 3 , 5 Millionen klingen eben mehr als fünfzig. Vergeude nicht meine Zeit, meinte Margaux, fahr mal lieber zu der Adresse und hör dich um.
Die Fotos, die der Paparazzo von Kalila aufgenommen hatte, gaben wenig her. Das Mädchen war kaum zu erkennen. Ein Bild zeigte eine junge Frau, die vor der hinteren Tür des Citroëns kniete, das Kind verdeckte und nur den Blick auf die beiden aus dem Wagen baumelnden Beine frei ließ. Auf einem anderen trug die junge Frau das Mädchen zu einem Krankenwagen. Das Kind vergrub seinen Kopf in der Halsbeuge der Frau und drückte ein rotes Plüschtier an sein Gesicht. Die langen, dunklen Haare hingen ihm ein wenig wirr über die Schultern.
Margaux überlegte, ob es sich lohnte, eine der Aufnahmen des Paparazzo zu drucken. Der verlangte dafür ein dickes Honorar. Exklusiv, bitte schön!, würde er die Bilder verkaufen.
Martine hatte sie vor den juristischen Konsequenzen gewarnt.
Sie schaute auf die Uhr. Noch zwei Stunden bis Redaktionsschluss. Ob Jacques sich melden würde? Sie könnte ihn auch auf seinem Handy anrufen. Vielleicht würde er ihren Anruf gar nicht annehmen, aber einen Versuch könnte es wert sein. Sagte Jacques nicht immer, ein Untersuchungsrichter müsse allen Spuren nachgehen, sogar den unmöglichen?
Das gilt erst recht für Journalisten. Aber dann fühlte sie sich plötzlich unwohl. Die Sache mit dem Lifestyle-Richter war schon gemein gewesen. Sie hätte sich beherrschen sollen. Einen Moment dachte sie nach, dann stand sie auf und ging in das Büro ihres Chefredakteurs.
Auf dem mit herausgerissenen Zeitungsfitzeln
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