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Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou

Titel: Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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zugemüllten Schreibtisch stand ein großer Aschenbecher voller gelber Kippen. Maispapier. Daneben lag eine eckige blaue Pappschachtel, aus der Jean-Marc Real eine Gitane zog, als seine Chefreporterin ohne anzuklopfen die Tür öffnete.
    »Ich glaube, ich löse bei dir irgendeinen Tick aus«, sagte Margaux. »Kaum siehst du mich, zündest du dir auch schon eine Gitane an.«
    »Du weißt doch, wie das ist mit den Mücken«, sagte Jean-Marc lachend. »Rauch vertreibt sie.«
    »Ich bin allerdings eine hartnäckige Stechmücke«, sagte Margaux, fiel in sein Lachen ein und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.
    »Probleme?«, fragte Jean-Marc.
    »Überlegungen. Lass uns mal nachdenken«, sagte Margaux und machte eine Handbewegung, um einen Redeschwall des Chefredakteurs im vorhinein zu stoppen. »Wir haben die Bilder des Paparazzo. Und zwar als Einzige. Das hat uns einen Recherchevorsprung gegeben. Wir haben über die Autonummer die Adresse des Opfers herausgefunden. Ein Mohammed. Ich habe jemanden hingeschickt, der mit seinem Motorrad in zwanzig Minuten dort war. Rue de la Paix in Gennevilliers. Keine schlechte Wohngegend. Und wenige Häuser neben Mohammeds Haus steht das Restaurant ›L’Alchimiste‹, das schon auf seiner Markise damit wirbt, alle Speisen seien ›halal‹ zubereitet. Man kennt sich. Mohammed stammt aus dem Bidonville von Gennevilliers, hat sich hochgearbeitet, besitzt jetzt eine kleine Fabrikation von Lederjacken, die er mit Erfolg vertreibt, weil er den Sohn von Alain Delon als Werbeträger einsetzt. Früher gehörte er zu einer gewalttätigen Bande. Inzwischen besitzt er mehrere Immobilien in Gennevilliers und betrügt seine Frau ständig. Aber er liebt seine Tochter abgöttisch. Sie heißt Kalila und geht in die Grundschule gleich hinter dem Haus.«
    »Das ergibt doch mehrere Motive für den Mord«, sagte Jean-Marc, der kunstvoll drei Rauchringe in die Luft blies. »Die beste Schlagzeile wäre natürlich: Eifersuchtsdrama. Ein eifersüchtiger Ehemann bringt den Nebenbuhler Mohammed um. Oder aber: Bandenkrieg um Hausbesitzer. Noch schöner: Rache an Delon? Warum musste sein Textilfabrikant sterben. – Genau, das machen wir: Rache an Delon. Auf die erste Seite in fetter Schrift und in riesigen Lettern.«
    »Du bist verrückt. Er ist doch nicht der Jackenhersteller von Delon!«, sagte Margaux.
    »Das hast du aber eben gesagt«, antwortete der Chefredakteur, der seinen Stummel im Aschenbecher ausdrückte und sich einen Tabakkrümel zwischen den gelben Zähnen herauspulte.
    »Der Sohn von Delon!«
    »Der heißt doch auch Delon, oder?«
    »Ja, aber …«
    »Kein aber. Wir brauchen ja keinen Vornamen zu schreiben.«
    »Und das Kind?«
    »Das Kind? Davon dürfen wir sowieso kein Bild drucken. Und außerdem lenkt das Mädchen nur von unserer Geschichte ab: Rache an Delon. Die Leute kennen doch noch die Geschichte von Alain Delons Leibwächter Markovic, der umgebracht worden ist, übrigens auch mit einem Genickschuss, und keiner weiß, ob Alain Delon nicht sogar der Mörder war. Das wird ’ne Supergeschichte. Hast du wieder mal gut gemacht, Mädchen!«

Gao Qiu und Kalila
    S ie kam aus der engen Impasse de l’Enfant Jésus, der Sackgasse des Jesuskindes, heraus und bog links in die Rue Falguière. Gao Qiu beobachtete sie versteckt hinter einem Lieferwagen, um zu sehen, ob ihr jemand folgte. Er sah niemanden.
    Der Abend war angebrochen. Es wurde dunkel.
    So, als ginge sie den Weg häufig, überquerte sie die Straße und eilte zum »Bistro Falguière«, das, weil es bald schließen würde, völlig leer war, stieß die Tür auf und setzte sich, wie verabredet, an einen Tisch an der hinteren Wand.
    Gao Qiu folgte ihr und nahm mit dem Rücken zur Straße auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz, damit ihn niemand von draußen erkennen könnte.
    »Bist du Linda?«, fragte er die Krankenschwester auf Chinesisch.
    »Oh, du kommst auch aus Dongbei, wie ich«, sagte sie fröhlich, »das höre ich an deinem Dialekt. Seit wann bist du hier? Hast du auch schon Papiere?«
    Die kleine Chinesin verwirrte Gao Qiu. Sie war sehr zart, hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und gab sich freundlich und offen, als kennten sie sich schon lange.
    Der Kellner kam. Linda bestellte eine Cola, Gao Qiu einen Kaffee.
    »Ich habe nur zwanzig Minuten Pause. Wie kann ich dir helfen?«
    »Wer hat dich angerufen?«, fragte Gao Qiu.
    »Ein Onkel. Er arbeitet für den Drachenmeister, den du kennst. Zumindest hat das der Onkel

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