Das marokkanische Mädchen. Ein Fall für Jacques Ricou
Weile nach der Tat. Diesmal aber war ich Zeuge des Attentats. Ich habe von dem Sessel aus, auf dem ich saß, die Explosion von der ersten Sekunde an gesehen. Ich glaube, ich war einfach geschockt.«
»Was haben Sie dann gemacht?«
Jacques schilderte es in knappen Worten, erwähnte aber nicht die Rolle von Ibrahim Rossi. Doch dass er Rossi getroffen hatte und mit ihm gegangen war, wusste der Zivilist bereits. Eine gute Stunde lang ging der Mann immer wieder Jacques’ Zeitplan, beginnend mit seiner Ankunft auf dem Flughafen Marrakesch-Menara durch. Plötzlich erhob er sich und sagte: »Sie können jetzt gehen. Aber bleiben Sie in Marrakesch, bis wir Ihnen Bescheid geben. Ich bin sicher, dass Sie uns noch helfen können, die Attentäter zu beschreiben. Gehen Sie mal in Gedanken durch, was Sie gesehen haben. Sie waren ja schon am Vormittag dort. Was haben Sie da beobachtet? Was ist Ihnen am Nachmittag aufgefallen? Lassen Sie den Tag in Ihrem Gedächtnis Revue passieren. Plötzlich fällt Ihnen etwas ein. Dann rufen Sie mich an. Falls wir uns nicht vorher bei Ihnen melden.«
Er wedelte mit einer Hand in Richtung des Tisches und sagte, Jacques könne seinen »Krempel« mitnehmen. In der Brieftasche lagen noch alle Karten und Ausweise, aber kein einziger Geldschein. Fast sechshundert Euro fehlten und dreitausend Dirham, die er am Flughafen gegen knapp dreihundert Euro eingetauscht hatte.
Als er auf der Straße stand und nach der Uhrzeit schauen wollte, stellte er fest, dass die Uhr nicht an seinem Handgelenk war. Das Mobilphone zeigte halb elf.
Wohin sollte er sich jetzt wenden? Ans französische Generalkonsulat? Oder sollte er sich erst einmal mit Jil besprechen?
Er hatte kein Geld und damit ein ganz banales Problem. Wie sollte er hier wegkommen? Doch nicht zu Fuß! Er hob das Telefon hoch und suchte nach dem Eintrag für Jils Nummer, doch bevor er ihn fand und wählen konnte, fuhr ein Wagen vor, der nur ein paar Dutzend Meter entfernt geparkt hatte, und Brahim stieg aus.
»Jil schickt mich«, sagte der Gwana, lachte ein wenig und schlug die Wagentür hinter Jacques zu.
Die Hintermänner
A li war sein nächstes Ziel. Der marokkanische Journalist hatte Jil einen Boten geschickt, der nicht mehr sagen konnte als das, was ihm Ali aufgetragen hatte, nämlich – es lohne sich. Für Mittag schlug Ali ein Treffen an einem verschwiegenen Ort vor.
Jil lachte, als Jacques fragte, woher sie gewusst habe, wann es der rechte Moment wäre, Brahim zu schicken.
»Ganz einfach. Brahim hat beim Chef des Kommissariats einen Umschlag mit fünftausend Euro abgegeben. Da konnte er sich ausrechnen, dass es höchstens noch eine Stunde dauern würde.«
»Hast du nicht das Konsulat angerufen?«
»Dort läuft ein Tonband, das mitteilt, man könne erst ab zehn jemanden erreichen. Da habe ich mir gedacht, es ist sinnvoller, den marokkanischen Weg zu gehen. Und siehe da, es hat ja auch, wie gewünscht, gewirkt. Es war allerdings ziemlich teuer. Aber schließlich bist du ja nicht irgendwer.«
Ähnlich verzweifelt hatte Kommissar Jean Mahon geklungen, als Jacques ihn auf der Fahrt zu Jils »Riad« anrief. Er hatte die SMS von Jacques um sieben Uhr früh gelesen, doch konnte er im französischen Außenministerium erst gegen halb elf einen kompetenten Beamten sprechen. Da war Jacques aber schon wieder auf freiem Fuß.
Ihm war es peinlich, dass Jil Bestechungsgeld für ihn ausgegeben hatte, denn er war überzeugt, dass er ohnehin freigekommen wäre. Aber als er mit Jil darüber sprechen wollte, lachte sie laut.
»Wenn du meinst! Offenbar hast du keine Ahnung.«
»Das Geld bekommst du von mir zurück.«
»Lass mal. Das verrechne ich mit meinen Leuten.«
»Mit deinen Leuten?«
»Von der Drogenfahndung. Das ist einfacher. Die kennen das schon. Ich schlage vor: Du machst dich frisch, ziehst dir was Legeres an und packst deine Sachen. Wenn du vom Treffen mit Ali zurück bist, werde ich dich gleich hier um die Ecke bei einer Bekannten unterbringen, wo die Polizei dich nicht sofort auflesen kann.«
Es war heiß geworden.
Das monotone Schaukeln des Wagens auf der kleinen Straße Richtung Atlas-Gebirge ermüdete Jacques, ihm fielen die Augen zu. Ali hatte das Haus seiner Schwester in einem kleinen Ort südlich von Marrakesch als Treffpunkt vorgeschlagen. Nachdem die Polizei Jacques festgenommen hatte, dürfe man sie nicht mehr zusammen sehen.
Brahim fuhr schnell, und Jacques hatte anfangs Angst, sie könnten mit einem der Kamele oder
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