Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)
prangen rote Flecken. Aber es gibt keine Anzeichen für physische Misshandlung. Keine Wunden. Keine blauen Flecken. Auch keine Narben, abgesehen von den alten Wundmalen unter dem rechten Auge und der schiefen Nase – Trophäen der Prügel, die er von dem Mob kassiert hat, der ihn während des Gerichtsverfahrens aus dem Zeugenstand zerrte. Es ist der Krebs, der ihn immer mehr zusammenschrumpfen lässt. Die Behandlung, für die ich bezahle, reicht, um sein Leben zu verlängern, nicht aber, um ihn zu heilen. Auf dem ganzen Mars gibt es nicht genug Geld, um das zu schaffen.
Er ist einen halben Kopf kleiner als ich, und die Jahre in Einzelhaft haben ihn verkrümmt. Trotzdem fühlt es sich an, als wäre er größer.
»Du brauchst einen Haarschnitt.«
»Hallo, Vater.«
»Jacob.« Seine Stimme klingt monoton.
»Ist eine Weile her, Sir.«
»Sechs Monate. Eine Woche. Vier Tage.«
Er hat die Stunden vergessen.
»Siebzehn Stunden.«
Oder auch nicht.
»Wer zählt das schon?«, sage ich, bemüht, die Stimmung aufzulockern.
»Ich«, erwidert er. »Zählen ist meine einzige Beschäftigung. Dieses heruntergekommene Pack erlaubt mir nicht einmal, ein Buch zu lesen, abgesehen von der Bibel, und die kenne ich Wort für Wort auswendig.«
Es hat mich das Honorar eines 1-a-Jobs gekostet, ihm die Bibel zu kaufen. »Du siehst gut aus. Das Essen ...«
»Ist scheußlich. Hattest du nicht irgendwas darüber gesagt, du wolltest die Kalfaktoren in der Küche bestechen? Wird Zeit, dass du in der Richtung was unternimmst, falls du die Mittel dazu hast.«
Das Schmiergeld, was ich bezahle, bringt ein paar Extras auf seinen Teller. Anderenfalls müsste er ausschließlich von Haferschleim leben. »Ich werde versuchen, die Mittel aufzutreiben, Vater. Aber an gut bezahlte Aufträge ist schwerer heranzukommen als ...«
»Du enttäuschst mich, Jacob.«
Jetzt geht es los.
»Deine biologische Mutter wurde wegen ihrer Intelligenz und ihrer physischen Fähigkeiten ausgewählt. Sie hatte einen Doktortitel in Molekularbiologie und hat als Schwimmerin an der Olympiade teilgenommen. Das Surrogat, das dich zur Welt gebracht hat, war das Beste, was zu kriegen war. Deine Geburt verlief komplikationslos. Deine Erziehung war anspruchsvoll, deine Ausbildung erstklassig. Das ist nicht das Schicksal, für das du vorgesehen bist, Jacob. Dein Schicksal ist es, Herrscher des Mars zu werden, nicht irgendein gewöhnlicher Dalit -Söldner.«
Für einen Moment sage ich nichts, starre zu Boden und entziehe mich dem unerbittlichen Blick meines Vaters, wie ich es schon als Kind getan hatte. »Du hast mich zu einem Dalit gemacht, Vater.«
Nach Ende des Gerichtsverfahrens hatte er einen Tag und eine Nacht im Stock verbringen müssen. Die Regulatoren, die in seinen Diensten standen, hatten sich auf dem Tempelhof versammelt, alle dreihundert. Als der Glockenschlag das Ende seiner Zeit im Stock verkündete, entleibten sie sich alle, ein Akt wahrer Aufopferung. Nur zwei Regulatoren weigerten sich, das Ritual zu vollziehen. Ich. Weil mein Vater mir verboten hatte, mein Leben zu beenden. Und Vienne, denn sie hatte ihr Leben an den Dienst für mich verpfändet. So wurden wir Dalits . Herrenlose. Ausgestoßene. Parias.
»Was hast du gesagt, Jacob?«
»Ich sagte, dass ich den fürchterlichen Tod an der Seite deiner anderen Regulatoren gewählt hätte, wäre es nach mir gegangen.«
»Dann hättest du die Planung und harte Arbeit eines ganzen Lebens weggeworfen. Sie brauchen dich, Jacob. Wie hätte ich diesem Planeten wegen eines sinnlosen, antiquierten Rituals seinen Erlöser vorenthalten können?«
»Regulatoren leben nach diesen Ritualen. Die Richtlinien ...«
»Erspar mir das Geheuchel über die Richtlinien. Sie sind so nutzlos wie die alten Narren, die sie vor Generationen niedergelegt haben. Wir leben in modernen Zeiten, Jacob. Und die verlangen nach modernen Menschen. Die Orthokratie ist tot. Die CorpCom-Regierung durchläuft eine Phase, die den Übergang zu einer neuen Regierung kennzeichnet, die sich aus der Asche beider erheben wird! Diese Regierung braucht dich.«
Ich bedeute ihm mit einer Geste, leiser zu sprechen. »Vater, deine Worte trennt nur ein schmaler Grat vom Hochverrat.«
»Es sind gerade die schmalen Grate, die uns ausmachen, Jacob.«
»Sie machen dich aus, nicht mich.«
»Würde dir etwas an deinem Vater liegen, würdest du mit diesem albernen Affentheater aufhören!« Speicheltropfen sprühen gegen das Plexiglas. »Du würdest der Mann
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