Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)
schreie ich in dem Moment, bevor der Schlag sein Ziel erreicht.
Der Klang meiner Stimme veranlasst Ockham, den Kopf zur Seite zu drehen. Meine verhärteten Knöchel treffen trotzdem, doch Ockhams Kopfbewegung hat den Zielpunkt verändert. Statt des weichen Nackens treffe ich den knochigen Schädel.
Krach!
Ein Knochen bricht.
Ich glaube, er gehört mir.
»Er gehört dir«, sagt Mimi. »Du hast den Schlag exakt im falschen Winkel ausgeführt.«
»Danke für diesen Informationskrümel«, sage ich. »Welcher?«
»Der fünfte Mittelhandknochen. Haarfraktur. Behandlung erfordert Eis und Hochlagerung oberhalb des Herzens, um die Schwellung zu lindern ...«
»Erinnere mich später daran«, sage ich.
Ockham fällt nach vorn, verdreht die Augen und kippt beinahe sanft auf die Seite. Ich stehe über ihm, tue drei beruhigende Atemzüge und öffne und schließe versuchsweise meine Hand. Sie brennt wie heißes Quecksilber. Ich bücke mich, um nach dem Puls des alten Mannes zu tasten. Er lebt. Gott sei Dank.
»Du hast dich verletzt«, sagt Vienne.
»Nur ein Mittelhandknochen«, entgegne ich.
»Du hättest ihn töten sollen«, sagt sie. »Das ist dein Recht.«
»Wir brauchen ihn im Kampf gegen die Dræu. Außerdem muss er sich unterordnen, nachdem ich ihm nun in den Arsch getreten habe. So verlangen es die Richtlinien.«
Sie nickt besänftigt. »Stimmt.«
Wir treten zurück und gestatten es den Minenbewohnern, sich um Ockham zu kümmern. Spiner und Jurm sehen nach, ob er verletzt ist.
»Lebt er noch?«, frage ich.
»Er atmet«, sagt Jurm.
»Ich schätze, dann lebt er noch.« Ich warte, bis Mimi mir berichtet, dass seine Verletzungen geringfügig sind; dann sage ich zu den anderen: »Bewegt ihn nicht, ehe wir ihn untersucht haben. Ruft euren Mediziner her.«
Die Minenbewohner zucken mit den Schultern. Darüber hinaus regt sich niemand. Ein paar murren, sie würden keine Anweisungen von einem Dalit annehmen oder einem verdammten Regulator helfen.
»Tut, was er sagt«, lässt Áine sich vernehmen. »Für Streitereien ist kein Platz, wenn es um einen Verwundeten geht. Jurm, ich hole Maeve. Du besorgst mit zwei anderen eine Trage aus der Krankenstation. Sofort. Wenn es dir nichts ausmacht.« Sie unterbricht sich und fügt dann hinzu: »Bitte.«
Sie schaut mich an. Schüttelt den Kopf. Steigt die Stufen hinauf. Ich erkenne Zorn. Und Furcht. Aber wie könnte ich ihr das vorwerfen? Zwietracht im Glied. Zwei Regulatoren verwundet, einer womöglich verkrüppelt, während in den Kulissen ein kannibalischer Feind nur darauf wartet, die Befestigungen anzugreifen, die noch gar nicht fertig sind. Ich komme mir vor wie ein Bergsteiger, der mit den Zehen Halt auf einem schmalen Absatz brüchigen Gesteins sucht.
»Wird Ockham sterben?«, erkundigt sich Jean-Paul bei Vienne. Sein Körper hat nach dem Kampf eine rostrote Färbung, und sein Blut trocknet allmählich und hinterlässt schwarze Flecken auf seinem Bauch.
Seine Stimme schreckt mich auf. Ich habe beinahe vergessen, dass er hier ist.
»Nein«, höre ich Vienne antworten. »Er ist zu niederträchtig, um zu sterben.«
Jean-Paul setzt die entschlossene Miene auf, die ich schon im Bazar von New Eden bewundern durfte. »Was ist jetzt mit meiner Ausbildung? Wie soll ich jetzt Regulator werden?«
»Ich habe einen Rat für dich«, sagt Vienne und führt ihn weg. »Er kostet dich keinen Cent. Wenn du Regulator werden willst, dann versuch, von dem Mann zu lernen, der den Kampf gewonnen hat, nicht von dem, der ihn verloren hat.«
KAPITEL 19
H ÖLLENKREUZ , A USSENPOSTEN F ISHER F OUR A NNOS M ARTIS , 238. 4. 0. 00:00
In dem Traum liege ich auf einem Stahltisch in einem weißen Raum. Über mir brennt eine blaue Lampe. Meine Hand tastet hinauf, versucht, das Licht abzuwehren, doch am Ende schaffe ich es lediglich, mir die Haut von den Knöcheln zu schälen. Die Lampe versteckt sich in einem rauen Gitterkorb.
Ich liege in einem Feldspital, nachdem ich mit bloßen Fäusten um mein Leben gekämpft habe. Man hat mir einen Beatmungsschlauch in die Kehle geschoben, und zwei Chirurgen in OP-Kitteln, ein Mann und eine Frau, beugen sich über mich.
»Theoretisch«, sagt der Mann, »müsste es funktionieren.«
»Theorie ist schön und gut«, entgegnete die Frau. »Aber was ist, wenn seine Psyche den Symbionten nicht akzeptiert? Das könnte zu einem Zusammenbruch führen, zu Schizophrenie ...«
Was könnte es?, versuche ich zu fragen, aber etwas hindert mich.
»Ich darf Sie daran
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