Das Mars-Labyrinth: Roman (German Edition)
höre ein Poltern. Vor ihr öffnet sich gemächlich eine Luftschleuse. Sie dreht sich zu mir um. Ihr Körper ist jetzt nur noch eine Silhouette für mich, und mir wird klar, dass sie ein Kleid mit einer Leggings trägt, keinen Overall. »Willkommen im Sonnenschein.«
Bläuliches Licht strömt in den Tunnel. Eine Woge kalter Luft lässt mir das flaumige Haar an den Schläfen zu Berge stehen. Áine zieht mich durch die Luftschleuse und schließt sie hinter uns.
»Schnell«, sagt sie, das Gesicht in ein blaues Licht gebadet, das hell genug ist, den gelben Schein ihrer Lampe zu überstrahlen. »Ehe die Kälte durchdringt.«
»Bemerkenswert«, sage ich. »Mimi, verzeichne diesen Ort auf der Karte ...«
»Verzeichnet, Schnarchnase.«
Ich trete über eine hohe Türschwelle und auf eine Eisfläche. Vor uns weitet sich der Tunnel zu einer korkenzieherförmigen Eishöhle. Die Decke liegt hundert Meter über uns. Die Wände bestehen aus einem Eis, das an Buntglas erinnert, und recken sich empor wie die Turmspitze einer Kathedrale. Licht aus einer nicht erkennbaren Quelle über uns flüstert mir etwas zu und lockt mich, näher zu kommen.
»Was ist das für ein Ort?«, frage ich, den Kopf voller Ehrfurcht in den Nacken gelegt.
»Eine Eishöhle. Über dem Höllenkreuz gibt es einen Gletscher. Als der Permafrostboden im Zuge der Terraformung geschmolzen wurde, hat das Gletscherwasser diese Höhlen gebildet.«
Die bloße Möglichkeit, dass die schroffe Tundra etwas so Schönes verbergen kann, hebt meine Stimmung. »Du meinst, es gibt noch mehr solche Höhlen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Soweit wir wissen nicht. Als die alten Minenarbeiter die erste Höhle entdeckt haben, haben sie einen Fehler begangen. Sie waren unvorsichtig, und einer der Arbeiter hat das Eis mit einer Hacke getroffen. Dabei ist ein Riss entstanden, der über die ganze Wand verlief, bis hinauf zur Oberfläche. Die Höhlendecke hat nachgegeben, und zwei der Arbeiter haben es mit dem Leben bezahlt.«
Ich probiere aus, ob ich auf dem Eis Halt finde. »Dann sollte ich lieber nicht versuchen, hier Schlitten zu fahren.«
»Nicht, wenn dir dein Leben lieb ist.« Sie legt den Kopf auf die Seite. Lächelt. Berührt ihren Leib.
Ich blicke auf und lasse das Licht und den Wind über mein Gesicht streichen. »Kennen alle Minenbewohner diese Höhle?«
Áine drückt meine Hand. »Wir haben keine Geheimnisse voreinander.«
Nein, geht es mir durch den Kopf. Nur vor Außenstehenden. »Und sie reicht bis zur Oberfläche?«
»Da kommt das Licht her, Dummerchen.«
»Genau«, sage ich, und dann fällt mir auf, dass ich tatsächlich dumm bin. Nicht nur dumm, ich bin ein Idiot. Allein in einer Eishöhle mit einem Mädchen, das in ein Kleid geschlüpft ist ...
Sie zieht mich zu sich. »Willst du mal lecken?«
»Nein, danke«, sage ich. Zeit, dem Áine-Express einen Prellbock auf das Gleis zu legen. »Ich muss jetzt wirklich zurück.«
Áine hebt die Hand. Bricht einen Eiszapfen ab. »Probier mal. Daraus gewinnen wir den größten Teil unseres Frischwassers.« Sie zieht die Spitze des Eiszapfens über ihre Unterlippe. Dann legt sie den Kopf in den Nacken und lässt sich Tropfen eiskalten Wassers auf die ausgestreckte Zunge fallen.
»Cowboy«, geht Mimi dazwischen, »ich empfange Anzeichen von Stress, aber meine externen Sensoren melden keine unmittelbare Gefahr.«
»Oh, da gibt es schon eine Gefahr«, sage ich versehentlich laut. Eine klare, deutliche Gefahr.
Áine legt den Kopf schief. »Gefahr?«
»Entschuldige. Ich habe ... äh, Selbstgespräche geführt.«
»Du erzählst dir selbst, hier wäre es gefährlich?«
»Mehr oder weniger.«
»Ts.« Sie legt mir den Eiszapfen in die freie Hand. »Hältst du mich für gefährlich? Ich fühle mich geschmeichelt.«
»Das habe ich nicht gemeint.« Ich beiße in die Spitze des Eiszapfens, als wäre er eine Karotte. Pulverisiere das Eis mit den Backenzähnen. Gebe ihn halb verzehrt zurück. »Mir ist aufgefallen, dass du dich gut darauf verstehst, mir die Worte im Mund herumzudrehen.«
Sie schlingt die Arme um meinen Hals. »Versuch nicht, von dir abzulenken. Das tust du oft. Das ist mir schon in New Eden aufgefallen. Warum so bescheiden, Söldnerjunge?«
Ich löse ihre Arme von meinem Hals. »Mit Bescheidenheit hat das nichts zu tun. Ich habe einen Job zu erledigen. Ich möchte dich nicht kränken, aber ich muss jetzt los.« Sofort. Ehe ich mir fürchterlichen Ärger mit meiner Mannschaft einhandele.
»Okay, ich lass
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