Das Matarese-Mosaik
noch matschig war. Als sie schließlich den tiefsten Punkt erreicht und das schmale Tal durchquert hatten, ging es wieder steil nach oben. Sie hatten inzwischen bereits ihre Funkverbindung überprüft und ließen die Geräte auf offener Frequenz eingeschaltet.
»Cam«, flüsterte Scofields Stimme an Pryces Ohr.
»Ja?«
»Passen Sie auf. Wenn es auf Ihrer Seite genauso ist, kommen Sie gleich an einen rund drei Meter hohen Stacheldrahtzaun.«
»Ich glaube, ich sehe ihn schon«, sagte Pryce. »Vor mir flackert da etwas, als würde die Sonne sich in Metall spiegeln.«
»Das ist der Zaun. Hier drüben ist es genauso.«
»Ich habe ja lachen müssen, als Sie vorhin von Drahtscheren geredet haben. Sind Sie eine Art Hellseher?«
»Nein, verdammt. Von den Karten wußte ich, daß das Gelände von Wald umgeben ist. Also kamen elektrisch geladene Zäune oder irgendwelche Alarmsysteme nicht in Frage; die würden ja von kleinen Tieren und Vögeln alle paar Minuten ausgelöst werden. Blieb also nur die Möglichkeit eines Schutzzauns, ergo Stacheldraht.«
»Ich bin wirklich froh, daß man Ihnen in Harvard Latein beigebracht hat.«
»Undank ist der Welt Lohn. Und nicht vergessen, unten anfangen und kreisförmig schneiden, bis die Öffnung groß genug ist, daß Sie durchkriechen können.«
»Herzlichen Dank, Mutter.«
Als sie das erste Hindernis genommen hatten, kamen die beiden Eindringlinge überein, sich an der bewaldeten Ostflanke, also auf Pryceʹ Seite zu treffen. Kurz darauf tauchte Scofield am Rande eines Gebüschs auf, nur wenige Schritte
von dem gepflegten Rasen entfernt, der das Herrenhaus umgab. Pryce, auf Händen und Knien, gesellte sich zu ihm.
»Hier wird es mittags verdammt heiß«, flüsterte Scofield, »selbst hier zwischen den Büschen.«
»Still«, wies Pryce ihn leise zurecht. »Da, sehen Sie!«
Zwischen den Bäumen, die die grasbedeckte Auffahrt zu den beiden mächtigen Bronzetürflügeln säumten, konnte man jetzt einen leger gekleideten Mann aus dem Haus kommen sehen. Er griff in die Tasche und holte ein Päckchen Zigaretten heraus, dann aus einer anderen Tasche ein Feuerzeug und zündete sich die Zigarette wie ein leidenschaftlicher Raucher an, der endlich Gelegenheit hat, seinem Laster zu frönen. Wenige Sekunden später kam ein Zimmermädchen in einer dunklen Uniform mit weißem Kragen heraus und trat neben ihn. Auch sie holte Zigaretten aus einer Schürzentasche, und er gab ihr Feuer, während er ihr mit der linken Hand an den Busen griff. Sie kicherte und packte ihn zwischen die Beine.
»Spaß und Spiel im Chez Matarese«, flüsterte Pryce.
»Was wichtiger ist, sie mußten nach draußen, um zu rauchen.«
»Da kann ich jetzt nicht folgen.«
»Geofs Recherchen über Matareisen haben ergeben, daß er ein überzeugter Nichtraucher ist, geradezu pathologisch. Sie waren ja in dem Haus an der Keizersgracht und haben dort sicher keinen einzigen Aschenbecher gesehen. Pfeifen, Zigarren und Zigaretten waren streng verboten.«
»Er ist einfach pathologisch, Ende.«
»Zumindest was das angeht, hat er einen Grund. Ein Arzt in Amsterdam, ein Lungenspezialist, hat ihn wegen ernster Atemprobleme behandelt. Er ist da, Cam. Meine Ahnung war richtig.«
»Da sollten wir uns besser überzeugen, ehe wir London anrufen, und Geof Marseille verständigt.«
»Falls wir überhaupt jemanden anrufen.«
»Bray, das ist jetzt nicht der Ort und nicht die Zeit für persönliche Heldentaten!«
»Ich bin kein Held, ich hasse Helden. Die sind schuld, wenn Menschen umgebracht werden.«
»Worüber reden Sie denn dann?«
»Darüber, weshalb wir hier sind«, sagte Scofield, der immer noch zu der Auffahrt hinüberblickte. »Wir sind hier, um das an uns zu bringen, was Matareisen bei sich hat und woraus wir schließen können, was er getan hat und wer alles in dieses Komplott verwickelt ist, damit wir ihm ein Ende machen können. Falls es dafür nicht schon zu spät ist.«
»Wieso schließt das Geof und die Pioniere vom Deuxième Bureau aus?« bohrte Pryce.
»Da muß ich dreißig Jahre in die Vergangenheit zurückgehen«, antwortete Scofield nachdenklich im Flüsterton, als müsse er in seiner Erinnerung kramen. »Die Appleton-Villa außerhalb von Boston. Es stimmt zwar, daß ich die ersten Sprengladungen außerhalb des Grundstücks ausgelöst habe, aber als dann überall das Chaos ausbrach und ringsum Menschen zu Boden fielen wie Glühwürmchen im Regen, kam es zu anderen Explosionen, die die Brände im Haus auslösten.
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