Das Maya-Ritual
schließlich gefunden und mit der Winde an Bord geholt.«
»Irgendwelche Hinweise, was passiert ist?«
»Ich glaube, dass sie schlicht und einfach der Hurrikan erwischt hat.« Er musste nicht mehr sagen.
»Ich erwarte Deirdres Bruder heute Abend hier. Was soll ich ihm nur erzählen? Es kommt mir vor, als hätte ich einfach nicht genug unternommen, um sie zu retten.«
»Von wo reist er an?«
»Aus Miami. Fliegt direkt nach Cozumel.«
»Es hat nicht viel Sinn, dass er den weiten Weg macht. Rufen Sie ihn an und sagen Sie ihm, er soll einen Flug nach Mérida nehmen, und ich veranlasse, dass er von dort per Helikopter auf das Marineschiff geflogen wird. Es sucht immer noch das Meer nach Überlebenden ab - da draußen sind eine ganze Reihe Boote gekentert.«
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war nach fünf.
»Ich würde sagen, er sitzt jetzt gerade im Flugzeug. Sein Handy wird abgeschaltet sein.«
»Versuchen wir es. Wir können ihm immer noch eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht hat er einen Flug gebucht, der in Mérida zwischenlandet.«
Sanchez stand neben mir, während ich vom Telefon im Wohnzimmer aus wählte. Niemand meldete sich, auch keine Mailbox. Es läutete einfach endlos weiter.
Sanchez nahm das Blatt aus dem Notizblock zur Hand, auf den Deirdre die Nummer geschrieben hatte. »Ist das die Nummer, unter der Sie ihn letztes Mal erreicht haben?«
»Ja.«
»Sie sagten, er sei in Miami.«
»Ja, er lebt seit etwa einem halben Jahr dort.«
»Aber nicht in Miami, nicht mit dieser Nummer.«
»Es ist eine Mobiltelefonnummer.«
»Nein, das ist eine normale Telefonnummer.«
»Die Vorwahl sagt mir gar nichts.«
»Wahrscheinlich, weil Sie noch nie nach Havanna telefoniert haben.«
»Havanna?« Ich sah ihn an und verstand überhaupt nichts mehr.
»Ja, Havanna. Hauptstadt von Kuba. Nur dreihundert Kilometer von Miami entfernt, zugegeben. Aber in anderer Hinsicht liegen drei Millionen Kilometer dazwischen.«
51
Das Chilam-Balam-Buch mit Kan Eks Blutflecken darauf stand hochkant auf der Theke zwischen Wohnzimmer und Küche. Ich hatte meine Meinung geändert, was die Entfernung des Blutes anging. Es bedeutete auf makabere Weise, dass der Text buchstäblich in eine neue Lage Geschichte getaucht worden war - Kan Eks Mischung aus Maya und Konquistadorenblut stand sowohl für seine wie auch für seines Vaters Auffassung darüber, was am besten für das Volk der Maya sei.
Während das Leporello trocknete, saß ich auf der Couch, sortierte die verschiedenen Dokumente, die sich über die Terrasse verstreut hatten, und steckte sie in ihre jeweiligen Kuverts. Dann nahm ich Dr. de Valdivias schmale Publikation über die Mayaaufstände seit dem Krieg der Kasten zur Hand, um sie an ihren Platz zurückzulegen. Da ich überhaupt noch keinen Blick hineingeworfen hatte, blätterte ich sie kurz durch und bemerkte, dass es eine gedruckte Widmung im Frontispiz gab, die ich noch im Kopf übersetzte, während ich bereits weiterblätterte.
Aus ganzem Herzen der geheimen Blume des Waldes Damit musste Kan Eks Mutter, Rafael de Valdivias Geliebte, gemeint gewesen sein. Hatte Kan Ek die Widmung je gesehen? Selbst wenn, verhärtet wie sein Herz war, hätte er nie anerkennen können, dass zwischen seiner vergötterten Mutter und dem verhassten Vater eine große Liebe bestanden hatte.
Ich blätterte bis zum Ende und dann zurück zu der kurzen Einleitung, die ich rasch überflog. In dieser Präambel zu dem Bericht über die Versuche der Maya, die verhassten Eroberer loszuwerden, gab es einige Hinweise auf die eingeschleppten Krankheiten, die das Volk dezimiert hatten. Aber Dr. de Valdivia war ehrlich genug, auch das bereits vor der Eroberung existierende Amhakimil zu erwähnen, und er zitierte erneut den Chronisten Diaz.
Die Krankheit war durch große Pusteln gekennzeichnet, die ihre Körper unter verderblichem Gestank faulen ließ, sodass das Fleisch in vier, fünf Tagen zerfiel… einige Wahnsinnige tranken zur Vorbeugung genau jenes Wasser, das ihre Nachbarn vergiftet hatte, worauf sie in eine Erstarrung fielen, von der sich keiner mehr erholte…
Und da war es. Ich hatte es zwar zuvor schon gelesen, aber erst jetzt sah ich tatsächlich die Erklärung für das Ende einer der großen Kulturen der Erde. Dr. de Valdivia wusste, der Zyklus von Dürre und verseuchtem Wasser hatte Tod und Krankheit gebracht, er glaubte jedoch nicht, dass ein Massensterben die Folge gewesen war. Darin hatte er Recht und irrte zugleich.
Dr. de
Weitere Kostenlose Bücher